Muslim-Markt, 18.9.2007 – Was aber die Fastenden Muslime dieser Tage in Deutschland erleben, ist das Spiegelbild einer zum Krieg ausgerichteten Denkweise. Dabei könnte Fasten Frieden fördern.
Spätestens seit dem der türkische Präsident Adullah Gül versehentlich beim Fasten einen kleinen Schluck Wasser zu sich genommen hat wissen es viele in Deutschland: Die Muslime befinden sich seit sechs Tagen im Fastenmonat Ramadan. Die für ihre „Islamexperten“ berüchtigte Springerpresse wusste dann auch gleich zu berichten, dass der türkische Präsident jetzt einen Tag nachfasten müsste. Die „Fatwas“ deutscher Medien erzeugen immer wieder das Erstaunen vieler Muslime, die allesamt von Kindesbeinen lernen, dass ein versehentlicher Schluck das Fasten nicht beeinträchtigt. Tags darauf wurde die Springer-Presse dann auch von etwas seriöseren Blättern korrigiert. Einmal abgesehen davon ist es natürlich sehr rührend, dass sich ausgerechnet jene Journalisten um das korrekte Fasten der Muslime sorgen, die eine Atmosphäre in Deutschland herbeigeschrieben haben, die es den Muslimen schwerer macht zu fasten.
Die Mailer der islamischen Organisationen füllen sich dieser Tage mit Anfragen besorgter Eltern, die sich Situation gegenüber sehen, die vor wenigen Jahren noch unvorstellbar waren. Da werden z.B. in einer deutschen Großstadt Flugblätter an den Schulen an Muslime verteilt, dass das muslimische Fasten ungesund sei, und daher idealerweise damit aufgehört werden sollte. Fastenden, die zu allen möglichen Wassersportarten – mehr denn je zuvor – gezwungen werden sollen, gehören eher zu den „harmloseren“ Fällen. Den Höhepunkt des bisher bekannt gewordenen Leids, welches gleich eine ganze Reihe von muslimischen Schülern und Schülerinnen erlebt haben, schildert einen Mutter in ihrer Mail (hier verkürzt wiedergegeben):
„Meine Tochter (14 Jahre alt) hatte gefastet und ging zum normalen Schulunterricht. Im Fach Hauswirtschaftslehre wurde Pizza gebacken. Anschließend sollte die Pizza gemeinsam in der Klasse gegessen werden. Meine Tochter und etwa neun weitere Schüler und Schülerinnen fasteten und baten darum, ihren Anteil mit nach Hause nehmen zu dürfen, um es Abends zu essen. Die Lehrerin geriet außer sich, die Pizzas der zehn Schüler wurden den Fastenden weggenommen und den anderen Schülern gegeben, damit sie diese zusammen mit der Lehrerin vor den Augen der fastenden Kinder aßen. Zur Strafe mussten die betroffenen Schüler eine Stunde nachsitzen, und ich habe Sorge, dass es ich auf die Schulnote auswirken wird. Die Lehrerin soll sinngemäß Folgendes gesagt haben: Eure Eltern lügen, Kinder dürften erst ab dem 16. Lebensjahr fasten. Es wäre ihr Recht den fastenden Kindern die Pizzas nicht auszuhändigen und den anderen zu geben, da es Bestandteil des Unterricht wäre ...“
Ist das nur ein extremer Einzelfall? Wohl kaum, wenn man sich die Stimmung im Land anschaut. Schon lange richtet sich die bis zur Feindschaft mutierten Schreiberei eines Großteils einer Berufsgruppe gegen den Islam als solches! Auch das Beten und Fasten gehören dazu! Und wer Fastet, der ist „Islamist“, der ist „Fundamentalist“ und der muss bekämpft werden, damit er sich endlich integriert. Dieses wird durch die Medien Tag für Tag in teilweise sehr subtiler Weise und oft verdeckt aber beständig den Lesern eingetrichtert. Die anfängliche „Berichterstattung“ über Abdullah Güls versehentlichen Schluck Wassers ist ein Paradebeispiel dafür.
Aber sind fastende Muslime wirklich eines der Hauptproblem in diesem Land? Wissen diejenigen, die so extrem dagegen vorgehen, gegen was und wen sie sich richten?
Obwohl das Fasten „nur“ das zweitwichtigste Ritual nach dem täglichen Ritualgebet ist, wird es dennoch von viel mehr Muslimen eingehalten. Auch nicht Kopftuch tragende Muslimas, auch Menschen, die nicht regelmäßig beten, fasten! Der Monat Ramadan ist der Heilige Gottesmonat, in dem jeder Mensch, auch die Nichtmuslime, Gäste Gottes sein können, wenn sie die Bereitschaft mitbringen, Gast sein zu wollen. Und diese Gelegenheit wollen viele sehr gerne nutzen! Selbst manche, die den auch sonst im Islam verbotenen Alkohol trinken, verzichten in diesem Monat darauf.
Das Fasten ist eine Gelegenheit, eine Chance! Es eröffnet dem Geist in uns, die Seele mehr denn je zu läutern und den Körper beherrschen zu helfen. In welch wunderbarer Weise hat Imam Chamene’i am Freitag in seiner ersten der beiden Freitagsansprachen das Fasten erläutert, dass es uns hier nur noch zusteht, darauf zu verweisen:
Darin heißt es: „Wenn wir den Monat Ramadan in einem Satz zusammen fassen wollten, so wäre zu sagen: Es ist der Monat der Gelegenheiten.“
Eine der zahllosen Gelegenheiten ist die Chance zum Frieden. In einer Atmosphäre, in der fast jeder von Krieg spricht, können Muslime von Frieden sprechen.
In was für eine Lage ist Deutschland geraten, allein am letzten Wochenende. Der Innenminister verweist darauf, dass es früher oder später einen fürchterlichen Anschlag mit unzähligen toten geben wird, die Opfer von Massenvernichtungswaffen sein werden. Und der Verteidigungsminister weist mehrfach und verstärkt darauf hin, dass ihn Urteile des Bundesverfassungsgerichtes nicht interessieren und er zivile Flugzeuge ggf. in einem „übergesetzlichen Notstand“ abschießen lassen würde. Was ist los in diesem Land? Werden nicht solche Politiker zum „Notstand“?
Ein Kardinal weist darauf hin, dass eine Kunst, die sich von Gott entfernt bzw. den Gottesbezug verleugnet „entartet“ und wird darauf am schärfsten vom Zentralrat der Juden dafür kritisiert. Darf ein Kardinal, dem zumindest eine gewisse Beziehung zum Glauben nachgesagt werden sollte, nicht seinen Glauben vertreten? Und ist das Judentum neuerdings für eine Kunst, die sich von Gott entfernt? Das kann man doch nicht annehmen?!
Und damit sind wir auch wieder beim Fasten. Wo sind eigentlich die christlichen Kirchen, wenn es um das Fasten geht. Ein Blick in die Geschichte des Christentums würde daran erinnern, dass Christen auch einstmals gefastet haben, und zwar richtig und nicht nur Fernsehfasten und verzicht auf Kinobesuche. Praktizierende orthodoxe Christen im Nahen Osten tun es heute noch und wundern sich bei Besuchen in Deutschland, dass vom christlichen Fasten nur noch die Fastnacht geblieben ist, bei der alles andere als gefastet wird.
Aber nur der wirklich Fastende kann zumindest ansatzweise nachvollziehen, was es bedeutet, Hunger zu haben, und er ist glücklich über sein eigenes begrenztes Hungergefühl. Während sein Hunger in wenigen Stunden gestillt wird, weiß er darum, dass am gleichen Tag 30.000 Hungernde an ihrem Hunger sterben werden auf diesem uns anvertrauten Planeten. Er weiß auch, dass nur derjenige, der die eigenen natürlichen Triebe beherrschen lernt, in kritischen Situationen seine Menschlichkeit bewahren kann. Und er freut sich über jeden Fastentag, in dem es ihm gelingt.
Abends beim Fastenbrechen begnügt er sich damit, seinen Bedarf zu stillen, übertreibt aber nicht in Auswahl und Menge, denn – im Gegensatz zu manchem Missbrauch – weiß er auch um die gesundheitsfördernden Aspekte des richtigen Fastens, wenn es im richtigen Maß gebrochen wird. Er weiß auch, dass er eigentlich das ganze Jahr über fastet, und beim englischen „Breakfast“ (Fastenbrechen) sein Frühstück zu sich nimmt. Jeder Mensch fastet jeden Tag 12-14 Stunden (denn wer isst noch kurz vor dem Schlafengehen?). Im Fastenmonat aber wird der sonst „eingefahrene“ Hunger, der sich sonst immer zu einer bestimmten Uhrzeit meldet, wieder neu „eingerichtet“, sozusagen neu justiert.
Aber das Fasten beschränkt sich nicht nur auf Bedürfnisse wie Essen, Trinken und Geschlechtsverkehr. Genau so soll in diesem Monat der Fastende alle bestehenden Zwistigkeiten mit seinen Nachbarn und bekannt versuchen zu lösen. Freundlicher als je zuvor soll er versuchen in der Gesellschaft aufzutreten, in der er lebt und die er mitzugestalten sucht. Und auch die Streitigkeiten von anderen ihm vertrauten Personen kann er im Rahmen seiner Möglichkeiten versuchen zu lösen. Gemäß einer Überlieferung des Propheten des Islam ist das Schlichten eines Streits mehr wert als Jahrelanges Beten. Und der betenden und Fastende erzieht sich dazu, die Liebe Gottes auf seine Zunge zu bringen, damit er solche Streitigkeiten lösen kann.
Kurz und gut, der Fastende ist ein Mensch, der sich für Frieden in der Welt einsetzt, angefangen von seiner Familie über die direkten Nachbarschaft bis hin zum Weltfrieden; jeder im Rahmen seiner eigenen beschränkten Möglichkeiten.
Frieden ist möglich in Palästina, wenn Gerechtigkeit herrscht und Rassismus, ethnische Säuberung, Vertreibung und Besatzung ein Ende finden. Der Fastende setzt sich dafür ein.
Frieden ist möglich im Irak und Afghanistan, wenn Gerechtigkeit herrscht und Besatzung ein Ende findet. Der Fastende setzt sich dafür ein.
Frieden ist aber vor allem möglich in unserem Deutschland oder Österreich, unserer Heimat: Sozialer Frieden, Gerechtigkeit und auch eine friedensfördernder Dialog der Religionen und Kulturen; all das ist möglich, wenn der Mensch wieder in den Vordergrund rückt und nicht die Wirtschaft, wenn die Hassprediger auf allen Seiten merken, dass sie sich nur selbst schaden und ihre eigene Heimat vergiften. Der Schaden, der durch ein Wort von Journalisten gegen den Islam und die Muslime angerichtet wird führt zu dem Unfrieden, den Schülerinnen im Hauswirtschaftsunterricht erleiden müssen.
Muslime können in diesem Monat mehr denn je die Liebe des Islam vorleben.. Viele ältere vereinsamte Nachbarn wohnen in der Nähe eines jeden Muslims. Man kann sie zum Iftar (Fatenbrechen) einladen. Allein die Geste ist friedensfördernd, selbst wenn die Einladung nicht angenommen wird. Moscheen laden dieser Tage ein und der Tag der offenen Moschee steht auch bevor.
Jeder Muslim, der dieser Tage aufgrund seines Fastens angegriffen wird, erhält zusätzlichen Segen durch die zusätzliche Prüfung, die er in Frieden und Liebe versucht zu bewältigen. Fasten kann Frieden fördern.
Zweifelsohne gibt es auch viel zu kritisieren an der Art des Fastens mancher Muslime. Es ist nicht Sinn des Fastens, den Tag zur Nacht und die Nacht zum Tag zu machen, wie es manche missverständlich tun. Es ist nicht Sinn des Fastens, in diesem Monat mehr zu konsumieren, als in allen andere Monaten, wie es aus Unwissenheit manchmal geschieht. Die Ehre, die Gästen durch eine reichhaltige Auswahl gereicht wird, muss nicht dazu führen, den eigenen Körper zu überlasten. Und Reisende, Kranke, Schwache usw. sind ohnehin vom Fasten befreit und müssen nicht „päpstlicher sein als der Papst“ und „heldenhaft“ fasten. Der verpasste Tag wird später nachgeholt. Ältere, denen es eine untragbare Läst wäre und die nicht mehr damit rechnen, die tage nachholen zu können, speisen einen Fastenden in dem Maß, wie sie das Fasten brechen würden
Das Fasten kann den Frieden fördern auch in der Situation, welche die Schülerinnen erlebt haben. Sie können die Lehrerin zum Fastenbrechen einladen, sie können einen liebevollen Brief an die Schulleitung schicken, dass die Missverständnisse gelöst werden können und sie können für die anderen Schüler beten, die durch ihr unsolidarisches Verhalten die Fehler der Lehrerin begünstigt haben.
Frieden beginn immer im eigenen Herzen. Und keine Atombombe der Welt kann jenen Frieden zerstören, wenn er gefestigt wird. Dazu gibt dieser Heilige Monat Ramadan die Chance.