Ein Mann hält sein Baby in die Luft und ruft laut nach Gerechtigkeit. Da trifft ein Pfeil das Baby im Hals und es stirbt in den Armen des Vaters. Die Schwester jenes Vaters, die Zeugin der Ereignisse wurde, erklärt wenige Tage später, sie habe nichts als Schönheit gesehen.
Wie soll man diese Kraft der Liebe in einer so sehr von den Werten der Wahrheit entfernten Gesellschaft vermitteln? Wie soll man die Schönheit der wahren Liebe in Worte fassen, wenn Triebe bestimmen, was Schönheit ist? Wie soll man den Begriff Opfer für die Wahrheit erläutern, wenn nur das Überleben der einzige Wert ist, dem die Menschen nachjagen sollen?
Es ist nunmehr 1370 Jahre nach dem islamischen Mondkalender her, als der heiligste Mensch seiner Zeit in einem Tal namens Kerbela am 10. Tag des Monats Muharram zusammen mit einer Gruppen weniger Dutzend Getreuer gegen die Gewaltherrschaft von Tausenden und Abertausenden nicht aufgegeben hat und sie nahezu allesamt niedergemetzelt wurden. Die oben geschilderte Szene ereignete sich gegen Mittag des 10. Muharram, dem ersten Monat im islamischen Mondkalender. Jener Tag wird “der Zehnte“ (Aschura) genannt und ist daher unter diesem Namen bekannt. Weltweit trauern immer mehr Menschen an diesen Tagen und Gedenken des Martyrertodes Imam Husains, dem Vater jenes Babys.
Der Enkel des Propheten und wahrer Vertreter des Islam, wurde im missbrauchten Namen des Islam ermordet. Und es waren die Anhänger jenes Imams, die Schiiten in Kufa, die ihn im Stich gelassen haben! Jenes Ereignis war von Anfang an eine große Gefahr für jeden Gewaltherrscher der Welt. Denn Imam Husains Verhalten lehrte, dass ein ehrenvoller Tod im Widerstand gegen Gewaltherrschaft wertvoller ist, als ein Leben in Unterdrückung. Gewaltherrscher unter Sunniten und Schiiten haben stets versucht, die Ausstrahlungskraft jenes Ereignisses “abzulenken“. Bei Sunniten wurde jener Tag “umgewidmet“ in einen Befreiungstag von Moses und/oder Noah. Bei Schiiten wurde den Trauernden eingeredet, dass sie gar nicht genug trauern könnten, um dem Ereignis gerecht zu werden, und so wurden sie zur blutigen Selbstgeißelung erzogen. So lange sie sich nur selbst blutig geschlagen haben (und nicht den Gewaltherrscher), waren jene Trauerzeremonien ungefährlich für die Machthabenden.
Auch heute gibt es noch Sunniten, die nicht wissen, dass Aschura der Befreiungstag des Islam war, aber sie werden immer weniger. Auch heute gibt es noch Schiiten, die sich blutig schlagen, aber sie werden immer weniger. Die meisten großen und bedeutsamen Gelehrten der Schia haben jenes Blutigschlagen verboten! Es ist selbstverständlich, dass die westliche Hofberichterstattung lieber die Bilder von blutüberströmten Muslimen zeigt, denn sie stellen eine grausames Bild dar und sind gleichzeitig ungefährlich für den Kapitalismus. Aber wer die Gelegenheit hat, über Sattelitensender die Trauerprozessionen in der ganzen Welt zu verfolgen, der wird ein anderes Bild sehen:
Es ist die unaufhaltsam um sich greifende Kulturrevolution der Islamischen Revolution, die in vielen ehemaligen Sowjetrepubliken, in vielen Staaten Asiens, aber vor allem auch im Irak und Iran Szenen voller Leidenschaft und Liebe erzeugen. In einer Türkei, in der vor 30 Jahren kaum jemand wusste, dass Aschura mit Imam Husain zu tun hat, sind morgen mehrer Hunderttausend Menschen auf den Straßen, ohne dass der Westbürger es jemals erfahren wird. Und sie trauern weltweit gemeinsam für Imam Husain und seine heldenhaften Gefährten. Kurz vor dem Ende jenes Gemetzels stand Imam Husain auf dem Feld, hielt seinen jungen Sohn hoch und schrie die Angreifer an mit folgenden sinngemäßen Worten: „Wenn ihr schon mich ermorden wollte, welche Schuld hat dieses Baby, was hat es euch getan?“ Als Antwort kam der Pfeil. Später wurde auch Imam Husain (a.) brutal ermordet.
Als seine Schwester Zainab vor den Hof des damaligen Gewaltherrschers verschleppt wurde und ihr dort das Gemetzel als Abschreckung noch einmal mit schlimmsten Schilderungen vorgetragen wurde antwortete sie: „Nichts habe ich gesehen außer Schönheit!“
Diese Schönheit hat den Schah von Persien weggefegt, diese Schönheit hat zum Befreiungskampf der Jemeniten gegen die US-Saudis geführt, selbst wenn sie militärisch chancenlos sind. Diese Schönheit führt dazu, dass sie die Islamische Republik Iran vor keiner Macht der Welt verbeugt, während sich die gesamtem westliche Welt vor den USA und Israel niederwirft. Diese Schönheit hat sich inzwischen bis nach Palästina fortgepflanzt und beseelt dort den Befreiungskampf. Diese Schönheit hat den Befreiungskampf der Libanesen gegen die so übermächtige zionistische Armee beflügelt. Menschen kann man ermorden, aber den Geist der Schönheit kann man niemals besiegen! Er ist mächtiger und stärker als alle Atomwaffen der Westlichen Welt zusammen.
Und so stehen die vom Geist des „Jeder Tag ist Aschura und jeder Ort ist Kerbela“ erfüllten Seelen dieser Tage zusammen und schlagen sich in einem für gläubige Herzen voller Schönheit wirkenden und den Gewaltherrschern Angst einflößenden heftigen Rhythmus auf die Brust. Sie singen mit lauter Stimme: „Oh Husain, oh Zainab“. Sie rufen nach deren Mutter; „Oh Zahra, oh Fatima“, sie überbieten sich mit der Bekundung „Labbaik“ (Hier bin ich) und sie wiederholen die Parole Imam Husains „Hayhaat minn zhilla“ (Niemals Unterdrückung). Die Menge gerät in Wallung, sie fängt an sich zu bewegen, der Kreis wird immer größer, ein Universum der Sterne, die um die Sonne kreist. Sie rufen nach dem Helden am Euphrat namens Abbas, der im Einzelkampf bis zuletzt versucht hat, den verdurstenden Kindern noch ein letztes Mal Wasser zu holen und dabei gefallen ist: „Oh Abbas, die geliebter Bruder Imam Husains.“ Sie rufen nach Ali Akbar, dem jungen Sohn Imam Husains, der voller Durst vom Schlachtfeld zu seinem Vater zurückkehrte und um einen letzten Schluck Wasser bat, aber der Vater hatte nur noch ein Versprechen für ihn: Gehe und kämpfe, dann bekommst Du Wasser von der Großmutter der Heiligsten aller Frauen, der Fatima Zahra am Brunnen im Paradies. Was für ein Kampf, was für ein Verhältnis, wenige Dutzend gegen mehrere Tausend! Jener Kampf hat die Verfassung der Islamischen Republik Iran geprägt, jener Kampf hat nach eigenem Bekunden die Befreiungskampf Mahatma Gandhis geprägt. Jener Kampf ist das Fanal aller Befreiungskämpfe der Wahrheit, ein Leuchtturm der Schönheit in einer Welt, die mit aller Macht versucht, Schatten drüber zu legen, und doch so hilflos ist gegen diese wenige dutzend mutige Menschen.
Der Trauerzug bewegt sich immer heftiger im Kreis. Die Schläge auf die Brust werden immer gleichmäßiger. Der Herzschlag der Befreiung der Menschheit ist nicht mehr zu überhören. Die noch junge zarte Pflanze wird getränkt von Tränen, Tränen über Tränen, die aus Augen fließen, die sich schämen. Sie schämen sich für ihre Sünden, sie schämen sich, so oft im Herzen den Imam der Wahrheit im Stich gelassen zu haben. Sie schämen sich, dass sie noch nicht bereit genug sind, dass der Erlöser, der Urenkel jenes Imam Husain, erscheint, auf den sie so sehnlichst warten. Sie schämen sich, so schwach zu sein, obwohl Gott sie doch so stark erschaffen hat.
In der Glut der Mittagssonne wird der Kopf des Heiligsten Menschen seiner Zeit von seinem reinen Körper getrennt. Der Sand von Kerbela ist Blut überströmt. Die Zelte der Liebe brennen. Und dieser Band schmerzt. Es schmerzt sehr tief im Herzen, und dennoch; es ist kein Schmerz der Niederlage, es ist kein Schmerz eins zerstörerischen Feuers. Es ist der Schmerz der Glut der Liebe. War nicht alles, was geschehen ist, Schönheit in Vollendung? Haben wir nicht die Schönheit einmal mehr am Tage von Aschura in Kerbela miterleben dürfen?
Die gesamten Unterdrücker der Welt könnten sich zusammen schließen und dennoch könnten sie jene Schönheit niemals beflecken. Sunniten sind zurückgekehrt zu Imam Husain, Schiiten trauern nicht mehr blutig, sondern in Gedenken an die Schönheit und mit der Kraft des Widerstandes gegen das Böse in uns selbst und gegen alle äußeren Unterdrücker. Aber auch Christen in der Welt lernen sich immer weiter zu befreien. Die Zeit der Unterdrückung ist vorbei. Denn die Schönheit der Liebe ist da.
Der Friede sei mit Dir, oh Imam Husain, mit Dir und Deinen Gefährten!