die Geschwister bzw. Dr.Yavuz haben sich ein bisschen Zeit gelassen, aber jetzt haben sie auch mal was zu diesem hier heißdiskutierten Thema gesagt und dabei wieder mal ihre Kunst der tiefgreifenden Analyse unter Beweis gestellt mit der sie uns das aktuelle Geschehen in einem anderen Licht darstellen, als es alle anderen tun.
Zitat
Zitat Muslim-Markt: Die Trauer im Schatten der Arroganz der Macht
Während Millionen Menschen um den Selbstmord eines Multimillionärs trauern, trauert eine unbekannte Familie um das, was ihrem Vater gegen seinen Willen angetan wurde. Aber darüber wird kaum berichtet.
Jedes Jahr gibt es in Deutschland mehr als 10000 Selbstmorde, von denen ca. 1000 auf Bahngleisen erfolgen. Während der Selbstmörder seine Tat selbst bestimmt, ist der Lockführer Opfer einer grausamen Tat, in die er absolut gegen seinen Willen hineingezogen wird. Statistisch gesehen trifft es dabei jeden Lockführer in Deutschland mindestens ein Mal, viele sogar mehrmals, falls sie nach dem ersten Mal noch weiter fahren. Untersuchungen belegen, dass sich bei 30 Prozent der betroffenen Zugführer nach einem solchen Unfall eine posttraumatische Belastungsstörung ausbilden kann, die sie in der Bewältigung des Alltags stark einschränkt. Auf den psychischen Schock folgen Zustände erhöhter Anspannung. Der Betroffene leidet unter Unruhe, Depressionen, Aggressionen oder Angstzuständen. Lokführer sind in solchen Situationen völlig ohnmächtig, hilflos und ausgeliefert. Das Trauma des Erlebten begeleitet viele ein Leben lang, unabhängig davon, ob sie ihren Beruf weiter ausüben können oder nicht. Rund 30 Lokführer jährlich sind nicht mehr dazu in der Lange und steigen nach einem solch furchtbaren Erlebnis aus, lassen sich umschulen oder sind schlimmstenfalls berufsunfähig.
Karl-Peter Naumann, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes "Pro Bahn" kritisiert die Tatsache, dass Nationaltorhüter Robert Emke bei seinem Selbstmord einen unschuldigen Dritten mit hineingezogen hat. Gibt man in Google-News die Begriffe Emke und Selbstmord ein, gibt es über 9700 Treffer. Gibt man hingegen Emke und "Karl-Peter Naumann" ein, gibt es ganze drei Treffer.
Da sitzt er also, jener Lokführer, der am Abend im Regionalexpress 4427 zwischen Norddeich und Hannover unterwegs war. Wir wissen nicht, ob er eine Familie hat, die in stützt, ob er eine Ehefrau hat, die ihm Trost spendet, ob er Kinder hat, die jetzt auch schockiert sind (oder man es vor ihnen krampfhaft verheimlichen muss). Wir kennen den Mann nicht. Er hat ein Einkommen, mit dem er gerade einmal über die Runden kommen kann und evtl. eine Altersicherung auf niedrigem Niveau aufbauen kann. Dafür muss er tüchtig schuften, auch am Wochenende, auch in der Nacht. Er wird alle jene Probleme haben, die ein Arbeiter mit solch einem Einkommen hat, falls er z.B. eine Familie versorgen muss. Evtl. ist er sogar Fußballfan und lenkt sich am Wochenende (falls er nicht fahren muss) mit Fußball ab. Wir wissen nichts über ihn! Was wir aber wissen ist, dass er zusieht, wie die ganze Nation um einen Mann trauert, der sein Leben als Lokführer dramatisch verändert hat, ohne dass er jenem Mann jemals etwas Böses angetan hätte. Er sieht, wie viele zur Trauerfeier jenes Multimillionärs kommen, der eine Familie hinterlässt, die finanziell für das ganze Leben abgesichert ist, während er selbst (auch ohne Familie) nicht abgesichert sein dürfte, falls er jetzt aufhören muss. Er sieht, wie sogar darüber nachgedacht wird, eine Stiftung mit dem Namen eines Selbstmörders zu gründen, obwohl es für die Tausenden betroffenen Lockführer, die in solch ein Trauma hineingezogen werden, keine Bundesstiftung gibt. Was mag der Mensch denken?
Die Nation trauert um den Selbstmord eines Multimillionärs und klammert völlig aus, was er mit seiner Tat (abgesehen von seinem eigenen Ableben) angerichtet hat. Und jene Situation entspricht spiegelbildlich der gesamten Situation, in der sich die Mehrheit des Volkes befindet! Dr. Ali Schariati, ein berühmter Soziologe, dessen Gedanken mit zur Entwicklung einer Befreiungstheologie beigetragen haben, hat einstmals in seinem berühmtesten Buch über die Pyramiden in Ägypten nachgedacht. Jahrjährlich fahren Millionen von Menschen zu jenen "Wunderwerken der Baukunst" und bewundern die Gräber der größten Verbrecher ihrer Zeit. Es sind die Gräber von den reichten Menschen, Unterdrückern und Sklavenhaltern! Während die Touristen die überdimensionalen Gräber besuchen, treten sie auf die Gräber tausender und abertausender Sklaven, die beim Bau jener Monumentalwerke umgekommen sind. Jene Sklaven wurden Vorort verscharrt und erhielten nie einen Grabstein. Wer aber ist es wert, dass man an ihn denkt und über ihn nachsinnt; der Pharao oder der Sklave?
Zurück nach Deutschland: Jeder Bundeswehrsoldat, der aus Afghanistan in einem Sarg zurückkehrt, erhält die Würdigung der gesamten Nation. Seine Familie ist finanziell abgesichert, sein posthumes Ansehen ist hoch. Er hatte sich freiwillig dafür entschieden, nach Afghanistan zu gehen. Die Zivilisten in Afghanistan, die aufgrund seines Einsatzes umgekommen sind oder schwer verletzt wurden, hatten keine Wahl. Sie waren in ihrer Heimat und kämpften ums überleben. Und niemand sichert sie finanziell ab.
Überall in der Welt werden die Gräber von "Großen" gepflegt und gewürdigt. Wie viele Kaiser und Königsgräber, wie viele Fürsten-Gräber gibt es in der Welt, von Menschen, die ihre Untertanen unterdrückt und die in einem extremen Reichtum gelebt haben, während ihre Untertanen darbten. Wer denkt heute noch an irgendeinen ihrer Untertanen? Auch in der muslimischen Welt ist es kaum anders. Typisches Beispiel sind die Gräber des 1001-Nacht-Harun in Bagdad, einem Massenschlächter, und Roxalena in Istanbul.
Roxalena, bekannt als Hürrem Sultan (Kaiserin Hürrem), war eine Ehefrau des osmanischen Sultans Süleyman I.. Geboren als Anastasia Lisowska gewann sie die Gunst des Sultans und wurde 1520 seine vierte Ehefrau. Es wird behauptet, das Süleyman I. seiner attraktiven, rothaarigen Frau verfallen war, weshalb er alles tat, um sie glücklich zu machen. Dies ging so weit, dass er seine erste Frau Mahidevran, zusammen mit ihrem gemeinsamen Sohn Mustafa ins Exil nach Bursa schickte. Seine zweite Frau, Gülfem, und seinen Sohn Mustafa soll er sogar erdrosseln lassen haben. Da die dritte Frau keinen Thronerben hatte, hatten die Söhne von Hürrem das Anrecht auf den Thron. Sie ist in einem Anbau der Süleymaniye-Moschee dem nach ihr benannten Hürrem-Schrein begraben, der 1599 vom großen Architekten Sinan erbaut wurde. 1566 wurde ihr unfähiger Sohn Selim II., einer der fünf Kinder, die sie geboren hatte und der im Volk auch "Selim der Säufer" genannt wurde, der Nachfolger von Sultan Süleyman I., was den Untergang der Osmanen einläutete. Viele Muslime gehen zu ihrem Grab und zum Grab ihres Ehemannes und beten für sie. Die von ihnen "gestifteten" Gebäude und ihre von Reichtum und Arroganz überquellenden Paläste werden heute noch besucht. Aber niemand denkt an die unzähligen Menschen, die sie zur Errichtung jener Gebäude verschlissen haben. Niemand denkt an die Sklavinnen im Haremspalast.
Ist das der Lauf der Geschichte? Wollen die Menschen wirklich nur auf der Seite der Reichen, der Schönen, der Mächtigen und Herrschenden stehen?
Eine wahre Befreiungstheologie muss andere Ideale verfolgen. Jesu Bergpredigt spricht eine andere Sprache. Und im Islam gibt es eine Grabstätte, welche die geehrteste aller Grabstätten ist, in der eine ehemalige Sklavin liegt. Was viele Nichtmuslime nicht wissen, ist die Tatsache, dass in Mekka - bei der Kaaba (dem schwarz umhüllten Würfel) - niemand begraben werden darf. Nur ein einziges Grab befindet sich in der gesamten Region: Es ist das Grab von Hagjar (Hadschar). Hagjar war einstmals eine Sklavin, die von Abraham befreit wurde. Sie war "Schwarze" und sie war "Frau". Sie vereinigte in sich sämtliche Eigenschaften, welche normalerweise dazu hätten führen müssen, dass kein Mensch jemals wieder an sie denkt. Sie war das "Niedrigste", was man sich damals vorstellen konnte. Ihr Grab befindet sich unmittelbar bei der Kaaba, und jeder Muslim - der dazu imstande ist - ist ein Mal in seinem leben verpflichtet, auch diese Grab zu besuchen bei der Pilgerfahrt. Zum Vergleich: Es gibt keine religionsrechtlich Verpflichtung das Grab des Propheten des Islam in Medina zu besuchen, selbst wenn es viele sehr gerne tun! Dieser Tage findet diese Pilgerfahrt wieder statt.
Die wahre Befreiungstheologie schaut auf die Unterdrückten der Welt. Heute sterben tagtäglich Tausende Menschen an Hunger und Durst, die überleben könnten, wenn die Menschen die Welt nur geringfügig gerechter organisieren würden. Jene "Umorganisation" bedarf aber, dass wir in unserer direkten Umgebung, in unserer direkten Nachbarschaft, Mitleid empfinden, Mitleid mit denen, die es bedürfen und ihnen zur Seite stehen. Welcher "Betroffene" durch Emkes Selbstmord hat dem Zugführer seine Anteilnahme ausgesprochen? Welcher Politiker, Funktionär, Sportler hat in einem seiner Reden oder Briefe sein Beileid an den Zugführer gesandt, der Fürchterliches erlebt hat.
Aber wir sind alle Teil jenes Systems! Wer von uns hat seiner Zeitung geschrieben, dass er lieber vom Leid der Zugführer lesen möchte, als vom Leid des Selbstmörders? Wer hat aufgehört jenes Schundblatt zu kaufen, das erst jeden berühmten Menschen in den Selbstmord treiben würde, wenn es dazu in der Lage wäre, um dann genüsslich darüber zu berichten? Aber es geht noch viel, viel weiter: Kennen wir eigentlich die Gehälter jener Spieler? Der Torwart, der sich selbst umgebracht hat, hat in einem Jahr so viel verdient, wie der Lokführer sein Leben lang nicht verdienen wird! Ein Mittelstürmer bei Bayern München verdient in einem Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag; eine Summe die drei Generationen von Arbeitern nicht erwirtschaften werden ihr Leben lang! Nur woher kommt das Geld? Es kommt aus den Taschen des Arbeiters, des einfachen Bürgers, ohne dass dieser es merkt! Ihm werden Brot und Spiele vorgesetzt, damit er nicht merkt, wie er beides - und den Wohlstand einer Machtelite dazu - selbst mit seiner Arbeit und seinem Einsatz finanziert.
Es wird Zeit für eine Revolution der Herzen. Und die beginnt bei jedem selbst, womit wir wieder am Anfang der Geschichte sind! Wir messen uns selbst dazu erziehen, mehr Mitleid mit dem uns unbekannten Zugführer zu haben, als mit einem Superstar, der sein eigenes Leben abgeschlossen hat. Erst wenn uns das wirklich gelingt - trotz unglaublicher massenmedialen Propaganda für das Gegenteil - dann finden wir einen Weg zur Befreiung. Denn dann werden wir der Welt auch mitteilen, dass wir uns mehr um den Zugführer kümmern möchten. Und diejenigen, die dann gewählt werden wollen, werden sich dann lieber mit dem Zugführer zeigen, als mit dem Superstar.
Am Ende aber, ja am Ende müssen wir alle unsere Seele wieder abgeben, und dann werden wir befragt werden, ob wir im Diesseits lieber mit der schwarzen Sklavin zusammen waren, oder mit dem reichen Pharao, ob wir lieber mit dem Zugführer oder mit dem Mulimillionär-Superstar zusammen wären. Und je nachdem, für wen wir uns hier entscheiden, mit dem werden wir auch im ewigen Leben zusammen sein. Denn uns wurde die Freiheit der Wahl geschenkt.