Verfolgt die Bundespolizei Islamisten zum Oktoberfest?
Eine ganz normale Dienstreise in Deutschland am gestrigen Mittwoch führte in Bayern zu einigen “merkwürdigen“ Erfahrungen, die am Ende den Eindruck hinterließen, als wenn die Bundespolizei im Wahlkampf die Merkel-Regierung unterstürzen soll.
Gestern musste ich aus dienstlichen Gründen nach Regensburg, was von Bremen aus eine Dienstreise von guten fünf Stunden mit der Bahn bedeutet. Morgens um fünf war der Bahnhof in Bremen noch vergleichsweise leer. Einige Polizisten patrouillieren zwischen den Gleiszugängen. Es fällt mir nicht besonders auf, da sie “normal“ gekleidet sind und keine besondere Bewaffnung tragen. Ich steige in meinen ICE und fahre ohne weitere Vorkommnisse bis nach Nürnberg. Dort muss ich umsteigen nach Regensburg.
Der Bahnhof in Nürnberg ist aufgrund der nunmehr vorangeschrittenen Tageszeit erheblich voller. Hier patrouillieren auffällig viele Polizisten. Und die sind absolut nicht mehr “normal“ gekleidet. Auf der schusssicheren Weste hängt eine Maschinenpistole, der Gewehrlauf schräg nach rechts unten gerichtet. Das ganze erinnert an Szenarien, die ich einstmals bei Auslandsreisen in totalitäre Staaten kannte, für Deutschland aber eher für ungewöhnlich erachtet habe. Ohnehin frage ich mich als Waffenlaie, auf wen jene Polizisten ggf. ausgerechnet mit einer Maschinenpistole in einem vollen Bahnhofssaal schießen wollten. Mein Fernsehwissen über Maschinenpistolen deutet zwar eher darauf hin, dass es sich hier nicht unbedingt um eine Präzisionswaffe handelt, mit der Scharfschützen aus einer Menge heraus gezielt einzelne Menschen treffen könnten, aber ein späterer Blick in Wikipeadia zum Thema zeigt so viele unterschiedlicher Arten jener Waffe, dass ich nicht in der Lage bin, die technische Sinnhaftigkeit zu beurteilen.
Eindrucksvoll sind jene Gestalten auf den Bahnhöfen allemal. Allerdings für wen? Würde sich ein professioneller Terrorist von solchen herumlaufenden Maschinengewehrpolizisten wirklich beeindrucken lassen? Amateurhafte Terroristen können ja wohl kaum gemeint sein, hängt doch hinter jedem von ihnen ein Tross an Geheimdienstagenten, die viel intensiver bewaffnet sein dürften. Und verrückte Nachahmungstäter könnten ja auch auf die dumme Idee kommen, nicht mit der Bahn, sondern mit einem Auto zu fahren; wohin auch immer. Daher erscheint es fast so, als wenn der erzielte Eindruck auf den ganz normalen Bürger zielt, der das Gefühl bekommen soll, bedroht zu sein. Und der in der Woche vor den Wahlen bedrohte Bürger soll dann wohl jene Wählen, denen er eine bessere Bedrohungsabwehr zutraut. Es stellt sich allerdings die Frage, von wem sich der Bürger mehr bedroht fühlen wird.
In Nürnberg steige ich in einen Nahverkehrszug in Richtung München, der auch am Ziel meiner Dienstreise, in Regensburg, anhalten wird. Die “Stimmung“ im Zug ist so völlig anders als auf dem Bahnhof. Der halbe Zug ist voll mit Lederhosen und Möchtegern-Dirndlen. Die “Trachten“ haben aber herzlich wenig mit dem zu tun, was man eine traditionelle Tracht nennen würde. Unter den Lederhosen tragen die Männer T-Shirts mit Werbung für irgendeinen US-Konzern und die Röcke der Frauen sind – im völligen Gegensatz zu tatsächlichen Trachten – auffällig kurz geraten. Einheimische in Regensburg, mit denen ich mich später über die Zugfahrt unterhalte, machen sich über jene “Trachten“ lustig. Jene Röcke seien keine Möchtegern-Trachtenröcke, sondern zu breit geratene geschmacklose Gürtel.
Der halbe Zug befindet sich am helllichten Vormittag eines ganz normalen Werktages auf dem Weg zum Oktoberfest in München. Ich habe mich erkundigt, es ist keiner der Feiertage, welche die Bayern mehr haben, als wir Norddeutsche. Ein Taxifahrer, mit dem ich mich später darüber unterhalte, behauptet, dass die alle noch vor den Wahlen sich den Frust “von der Leber saufen würden“ (so die Worte des Taxifahrers), weil sie wüssten, was ihnen nach den Wahlen blüht: Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, höher Krankenkassenabgaben, höhere Arbeitslosenversicherung (für die, die noch nicht arbeitslos werden), weniger soziale Absicherung usw.. Alle wissen es!
Bereits im Zug wird heftig getrunken. Alkohol auf dem Oktoberfest sei so teuer, dass man sich vorher bereits einen Pegel antrinken müsse. Und außerdem müsse man vor dem Mittag zusehen, in solch in Zelt zu kommen, da sie ab Mittag wegen Überfüllung geschlossen werden. Der Taxifahrer erläutert mir zudem, dass man nur in bestimmten Zelten wirklich Spaß hätte. In den großen Zelten wären nur Australier, Japaner und Amerikaner.
Die Stimmung im Regional-Zug ist ausgelassen und wird nicht einmal von einem Schaffner gestört. Der wäre ohnehin total überfordert in dem überfüllten Zug. Nur kurzzeitig wird die Stimmung “leiser“. Zwei Polizisten der Bundespolizei laufen durch den Zug und sprechen irgendwelche Leute an. Ich kann nicht hören, was sie sagen, da sie zu weit entfernt stehen bleiben und Nahverkehrszüge nicht die Leisesten sind. War jene Begegnung Zufall?
Ich steige in Regensburg aus, erledige meine Arbeit und fahre wieder zum Bahnhof. Der zweite Taxifahrer des Tages beschwert sich über die Polizei genau so wie über die Oktoberfest-Ausländer, ohne dass ich ihn überhaupt darauf anspreche. Er meint übrigens mit Ausländern “Nicht-Bayern“. Ich versuche meinen “preußischen“ Akzent zu verheimlichen und grüße ohnehin schon den ganzen Tag immer mit Gott. Wieder am Bahnhof in Regensburg ist die Riege von Polizisten überhaupt nicht mehr zu übersehen! Bereits am Eingang steht eine ganze Reihe Polizisten demonstrativ herum. Kaum im Bahnhof laufen einem sofort wieder kriegstauglich bewaffnete Personen entgegen im Wechsel mit “normalen“ Uniformierten. Das Land scheint über sehr viele Polizisten zu verfügen, die sie den ganzen Tag auf Bahnhöfen herumlaufen lassen kann.
Auf dem Rückweg erwische ich sofort einen ICE in Regensburg. Ich steige ein, ergattere einen Sitz mit Tisch, an dem ich meinen Laptop anschließen kann, um an einem Buch über Fatima als Vorbild für Frauen von Schariati zu korrigieren. Ich wähle im Zug aufgrund der Fahrtwackelei stets eine so große Bildschirmschriftart, dass einige Reihen an Mitfahrenden locker mitlesen können. Wer weiß, vielleicht hat es ja dem einen oder anderen bei den vielen Fahrten genützt. Manchmal werde ich auch angesprochen und es entwickelt sich ein gutes Gespräch.
Trachten sind vergleichsweise wenige auf der Rückfahrt zu sehen. Es ist noch zu früh. Der Zug startet, ich beginne meine Arbeit. Plötzlich tauchen zwei Polizisten auf und bleiben nur wenige Reihen von mir entfernt stehen. Sie geben sich erst in Deutsch dann in englischer Sprache als Bundespolizei zu erkennen und sprechen zwei Schwarzafrikaner an. Beide sind überrascht. Sie lagen im Halbschlaf und hörten über ihre MP3-Player und Kopfhörer irgendwelche Hip-Hop-Musik in einer Lautstärke, dass einige Reihen bis zu mir mithören konnten. Ihre Kleidung gleicht der Musik, die sie hören, ist höchstes noch etwas “schriller“, dass sie auch wirklich niemand übersehen könnte. Sie nehmen ihre Hörer ab, zeigen ihre Ausweise und müssen weitere Fragen über sich ergehen lassen. Woher kommen sie? Wohin fahren sie? Was haben sie in Deutschland vor? Wie lange wollen Sie in Deutschland bleiben?
Ich denke mir zunächst, dass es sich um eine gezielte Kontrolle handelt und jene beiden Jugendlichen (ich schätze Sie so um die 18 Jahre) aus irgendeinem Grund (außer ihrer Kleidung und ihrer lauten Musik) aufgefallen sein könnten. Ich will mich wieder auf meinen Laptop-Text konzentrieren, da kommt eine Frage, die mich überrascht: Haben Sie etwas mit Islamisten zu tun?
Ich bin wirklich verwundert. Jene glattrasierten Hip-Hop-Milchbubys, deren Lebenssinn darin zu liegen scheint, mit allen Möglichkeiten aufzufallen, werden gefragt, ob sie etwas mit “Islamisten“ zu tun haben? Die waren doch sicher keine Muslime?! Die Befragten wissen selbst nicht, was sie antworten sollen. Möglicherweise haben sie die Frage auch im Englischen nicht verstanden. Heißt “Islamist“ im Englischen auch “Islamist“? Ich bin mir in dem Moment nicht ganz sicher.
Hingegen bin ich mir ganz sicher, dass ich selbst gleich eine aufschlussreiche Begegnung haben werde. Da sitze ich schließlich mit meinem Vollbart, dunklem Haar, keine Krawatte, stattdessen Stehkragen und habe einen Laptop aufgeschlagen mit großbuchstabigem Text. Ich blättere schnell noch an eine Stelle, an der das Wort “Islam“ auftaucht, damit es keiner übersehen kann. Ich geben zu, dass ich mit einer gewissen Vorfreude auf das Gespräch warte, denn solche Beamten sind mit einigen interessanten Gegenfragen stets zu einem etwas “überraschten“ Gespräch im perfekten Deutsch bereit, nachdem sie meinen deutschen Personalausweis mit Doktortitel überprüft haben.
Die Beamten blättern noch ein wenig im Pass der beiden Musik-Fanatiker und kommen dann schnurstracks auf mich zu! Aber sie bleiben nicht stehen und gehen weiter! Halt! Hier bin ich! Wie könnt ihr nur an mir vorbei gehen? Glaubt ihr, dass alle “Islamisten“ so aussehen, wie jene Hip-Hop-Cappy-Träger? Nein, das glauben sie nicht. Meine Enttäuschung über ein verpasstes “Gespräch“ kann ich vor mir selbst kaum verbergen. Die Beamten bleiben ca. fünf Reihen hinter mir vor einem absolut deutsch aussehenden älteren Mann um die 60 Jahre stehen. Der ist doch bestimmt kein “Islamist“; nicht einmal ein getarnter! Im Gegensatz zum ersten Halt sprechen sie den Mann extrem höflich an, indem sie sich zunächst dafür entschuldigen, dass sie ihn überhaupt ansprechen. Ihre erste Frage ist, ob der Fahrgast die Strecke regelmäßig befahren würde. Als dieser bejaht, fragen sie ihn, ob ihm bei seinen Fahrten etwas “islamistisches“ aufgefallen sei. Wie freundlich, dass die Bevölkerung zur Terrorismus-Abwehr so höflich mit eingebunden wird. Dem regelmäßigen Fahrer ist nichts aufgefallen.
Ja hat denn niemand mein rituelles Gebet gesehen, bei dem ich mich so “merkwürdig“ auf Reisen auf meinem Stuhl hin- und herbewegt habe? Wie sollen solche Reisende der Polizei helfen, wenn sie das übersehen? Ich gebe zu, dass ich am liebsten zu dem Mann hingegangen wäre, und ihn gefragt hätte, ob er denn blind sei? Auch würde ich meine Nachbarn in den Sitzreihen um mich herum gerne fragen, ob sie denn Tomaten auf den Augen haben und wie groß ich meinen Text auf dem Bildschirm noch machen soll, damit sie ihn nicht übersehen?
Ich lasse es sein. In Bremen angekommen bemerke ich zwar wieder einige Polizisten, die sind aber nicht halb so schwer bewaffnet, wie ihre Kollegen in Bayern. Ist hier der Norden etwas “kühler“, oder soll bzw. kann hier die CSU nicht gewählt werden?
Wieder zuhause schlage ich die Homepage der Bundespolizei auf und lese über die “Angepassten Sicherheitsmaßnahmen“ Folgendes: „Sie haben sicher bemerkt, dass Bundespolizisten an allen Flughäfen und an einigen Bahnhöfen mit einer anderen Ausstattung Streife laufen. Sichtbar für Sie alle ist vor allem die starke Präsenz der Bundespolizisten. Die Sicherheit der Bürger allgemein und die der Reisenden und Bediensteten unter anderem an den Flughäfen und Bahnhöfen ist dabei unser gesetzlicher Auftrag. Die seit Jahresbeginn verstärkt auch unmittelbar gegen Deutschland gerichteten Drohungen von Al Qaida und anderen islamistischen Organisationen erreichen eine neue Qualität. Die Bundestagswahl bietet dabei einen besonderen Ansatz für propagandistische und operative Ziele terroristischer Gruppen. Die Sicherheitsbehörden gehen daher von einer erhöhten Gefährdungslage aus. In zeitlicher Nähe zur Bundestagswahl wurden die polizeilichen Maßnahmen intensiviert und die Bundespolizisten angehalten, noch aufmerksamer gegenüber vermeintlichen Störungen zu sein.“
„Sie haben sicher bemerkt ...“ Ja ich habe bemerkt. „Die Bundestagswahl bietet dabei einen besonderen Ansatz ...“ auch das habe ich bemerkt. Fragt sich nur wer von jenem “Ansatz“ profitieren soll.