Von Wissen zu Erkenntnis im bevorstehenden Monat Ramadan
Von Yavuz Özoguz am 10. August 2009 12:20:19:
Wachstum ist das Gebot des kapitalistischen Imperialismus. Dabei greift jene Unterdrückungsideologie lediglich auf die Natur des Menschen zurück, die nach immer mehr strebt. Der Islam hilft hingegen zu wahrem Wachstum.
Eine ganze Sure ist im Heiligen Qur´an einem Teil der “Natur“ des Menschen gewidmet, dass er nach immer mehr strebt. Gleich im ersten Vers jener Sure heißt es sinngemäß: „Der Wettstreit um Mehrung beherrscht euch“ (102:1). Das ist ein Verhalten, dass es in allen Bereichen und Branchen gibt. Derjenige, der eine Stadt beherrscht will ein ganzes Land und dann die Welt beherrschen, derjenige der Millionen hat will Milliarden, derjenige, der einige Frauen “erobert“ hat, will noch mehr Frauen erobern, die europaberühmte Sängerin will weltberühmt werden, wer zum Mond fliegt, will zum Mars fliegen, man will das höchste Gebäude bauen, den größten Transporter, den größten Palast, mehr, mehr und immer mehr ohne jegliche Grenze!
Wenn die aktuellen Finanzmittel nicht ausreichen, um sich ein schöneres Auto zu kaufen, dann wird auf Pump gekauft. Verschuldung ist die zwangsläufige Folge dieses Strebens nach immer mehr. Die vergleichsweise kleine Verschuldung im privaten Bereich spiegelt sich wieder in der Rekordverschuldung im staatlichen Bereich. Es ist wie eine Krankheit, wie eine Sucht; und jene Sucht ist unstillbar! Der Krankheitsfaktor, der sich bis hin zu einem Wahn ausprägen kann, wird dadurch deutlich, dass hier irrational und geradezu idiotisch gehandelt und gedacht wird. Obwohl wir in einer begrenzten Erde leben, über begrenzte Ressourcen verfügen und uns nur eine begrenzte Zeit gegeben ist, streben wir Dinge an, die außerhalb jeglicher Möglichkeiten stehen. Das Zinssystem ist die perfideste Ausgeburt jenes Vermehrungswahns, dass in seiner exponentiellen Zinseszinsfunktion früher oder später jegliche materielle Güter übersteigt.
Aber die Natur des Menschen ist kein “Fehler“. Der Wunsch nach immer mehr ist ein Beweis unseres “göttlichen“ Ursprungs der Unendlichkeit und Unbegrenztheit. Daher kommt es nur darauf an, das Streben in die richtigen Bahnen zu lenken. Während ein unbegrenztes Streben nach “irdischen“ bzw. “diesseitigen“ Zielen hoffnungslos zum Scheitern verurteilt ist, gibt es durchaus ein Streben, dass in die Faszination der Unendlichkeit eintauchen kann; nämlich das Streben nach Wissen und darauf aufbauend Erkenntnis der Liebe.
Die ersten Stufen des Wissens verlangen eine gewisse Anstrengung bei gleichzeitiger Erkenntnis, dass das Wissen eine Gnade ist, die uns geschenkt wird. Wir werden “begnadet“. Je mehr nützliches Wissen man sich aneignet und die Überzeugung darin wächst, dass jenes Wissen eine Gnade und Barmherzigkeit Gottes ist, desto mehr Erkenntnis wird Gott dem Strebenden auch schenken, und hierbei gibt es kein Limit. Grenzenlos kann man in die Liebe Gottes eintauchen und wird von einem Meer der Faszination und Liebe zu einem größeren Meer der Faszination und Liebe gleitet, immer mehr und immer mehr.
Das gilbt nicht nur für den Otto-Normal-Muslim sondern auch für die Menschen der höchsten Erkenntnisstufe, wie den Propheten, die uns Lebenszeichen der Ahl-ul-Bait sind. So gibt es einen Erkenntnissprung bei Moses im Heiligen Qur´an in der Sure über die Höhen. Eigentlich geht es in der ganzen Sure um Höhen. Gleich am Anfang der Sure wird deutlich, wie der Satan namens Iblis, der sehr hohe Stufen des Wissens erlangt hatte, in die tiefsten Stufen herabstürzt, weil er auf dem “ICH“ besteht. Seine Verirrung „Ich bin besser als der (Mensch)“ zerstört seine Erkenntnisfähigkeit (7:12). Ganz anders ergeht es Moses mehrere Verse später: „Als Mose zu unserem Termin (mit Gott) kam und sein Herr zu ihm sprach, sagte er: „Mein Herr, zeige (Dich) mir, dass ich zu Dir schaue.“ Er (Gott) sprach: „Du wirst Mich nicht sehen. Aber schau zu dem Berg. Wenn er an seiner Stelle festbleibt, wirst du Mich sehen.“ Als sein Herr sich vor dem Berg enthüllte, machte Er ihn zu Staub, und Mose fiel zu Boden wie vom Blitz getroffen. Als er aufwachte, sagte er: „Preis sei Dir! Ich wende mich Dir zu, und ich bin der erste der Gläubigen.“ Er sprach: „Oh Mose, Ich habe dich durch meine Botschaften und mein Gespräch (mit dir) vor den Menschen auserwählt. So nimm, was Ich dir zukommen lasse, und sei einer der Dankbaren.“ (7:143-144)
Gemäß der von Liebe geprägten Deutung durch Imam Chomeini – möge seine Seele geheiligt sein – symbolisiert der Berg das “Ich“, das zerstört wird. Moses hatte ein unterdrücktes Volk befreit, sehr viele Wunder vollbracht, seinen Nachfolger (kurz vor jenem Ereignis) erwählt und den “Höhepunkt“ seiner Gottesdienerschaft erreicht und dann ereignete sich jene Szene! Das reine und fehlerfreie “Ich“ des großen Propheten wird zerstört und geht über in das größere Wir. Moses “zerschmilzt“ in Gott, wie es die Mystiker ausdrücken würden. Gott wird zu seinem Auge, seinem Ohr und zu seiner Zunge. Er steigt auf in die Höhen, von denen die ganze Sure handelt. Und er hinterlässt den späteren Generationen das Verständnisbild für die Ahl-ul-Bait.
Gott hat den Menschen erschaffen, um ihn als höchsten Empfänger der Liebe auszuzeichnen. Diese Auszeichnung erfolgt in der selbstlosen Übertragung von Liebe von Gott zum Menschen und der freien Annahme des Menschen dieser Liebe. Die Religionen nennen es Gnade! Der Islam ist dazu da, dass der Mensch lerne, sein Empfangshindernis, sein “ICH“ zu überwinden, um im “Wir“ aufzugehen. Deshalb sind Ehe und Familie so wichtig im Islam, auch als Hort der Liebe und der Entwicklung von Wissen zur Erkenntnis.
Haupthindernis für die Erkenntnis ist das “Ich“. Der Islam hat zahlreiche Methoden und Wege aufgezeigt, das Hindernis zu überwinden. Es ist die Freiheit, des Menschen, die ihn zum höchstmöglichen Liebesempfänger macht, und genau jene Freiheit kann aber zum größten Hindernis werden, wenn sie missbraucht wird. Der Prophet des Islam ist gekommen, um diese Liebe endgültig zu manifestieren, und es ist kein Zufall, dass kein anderer Mensch so vielen Verleumdungen und Feindschaften derjenigen ausgesetzt ist, die sich ans “Diesseits“ klammern bzw. derartige Ideologien vertreten.
Der Monat, in dem ein sehr intensiver Kampf gegen das “Ich“ gekämpft werden kann, steht vor der Tür. Keine zwei Wochen trennen die Muslime vor dem besonders ausgezeichneten Monat des Fastens und der inneren Einkehr. Aber das Fasten der letzten 1400 Jahre hat die muslimischen Gemeinden weltweit dazu gebracht, dass aus dem Monat des Fastens ein Monat des Schlemmens geworden ist. Der Monat, in dem einige Überpfunde abgebaut werden könnten wurde zum Monat der Gewichtszunahme. Der Monat, in dem in allen Bereichen weniger konsumiert werden sollte, um der inneren Einkehr mehr Gelegenheit zu gewähren, wurde zum Monat des Rekordumsatzes an Fleisch und vielen andern Gütern.
Nicht nur deshalb, aber sicherlich auch im Hinblick auf diesen Teil des Jahres, hat Imam Chamene´i am Anfang des Jahres das Jahr zur „Reform des Verbraucher- und Konsumverhaltens“ erklärt. Verändern wir gemeinsam unser Verhalten, um uns zu entwickeln und voranzuschreiten – so Gott will. Dann werden wir auch gemeinsam erleben, wie der geheiligte Monat uns von Wissen zur Erkenntnis leiten kann; eine Erkenntnis die gebunden ist an die Überwindung des “Ich“, eine Erkenntnis, die in der Verbindung zum Imam der Umma möglich, und gegen ihn unmöglich ist. Der Wunsch, dass ein anderer Mensch von Gott erhöht werden möge, ist eines der Schlüssel zur Unendlichkeit des Erkenntnisses. Jenen Menschen zu wählen, ist die Freiheit eines jeden Einzelnen.