Wer dachte, dass die neuesten Nachrichten aus der Politik immer auf Pressekonferenzen vermeldet werden, irrt gewaltig. Denn das, was Politiker gern in die Öffentlichkeit bringen wollen, wird ausgesuchten Journalisten in Hinterzimmern eingeflüstert. Je nach Interessen und politischer Couleur sind die Pressevertreter in solchen Hintergrundkreisen handverlesen. Niemand soll davon wissen, kein Außenstehender bekommt Einblick in diese verborgene Szene. Zapp ist es dennoch gelungen und zeigt die Strippenzieher im Berliner Medienzirkus.
Direkt neben dem Reichstag. Der Sitz der Bundespressekonferenz. Der Ort, an dem sich Politik und Medien regelmäßig treffen. 900 Journalisten sind hier registriert. Doch der Saal füllt sich nur, wenn die Prominenz kommt. Nur wenige sind da, wenn die Sprecher der Ministerien den Journalisten Rede und Antwort stehen. Viele Journalisten haben sich längst abgewöhnt, genau nachzufragen. Langweilige Routine.
Ministeriumssprecher: "Chemikalienverordnung." - Schweigen. Ministeriumssprecher: "Die Klimakonferenz in Montreal." - Schweigen. Ministeriumssprecher: "Gibt es Fragen zum Konjunkturpaket?" - Schweigen. Ulrich Deupmann, Leiter Parlamentsredaktion ”Bild am Sonntag”: "Niemand von den Journalisten stellt eine wirklich interessante Frage, um sie anschließend seinen 50 Kollegen sozusagen frei hinzugeben und zur allgemeinen Verbreitung freizugeben. Die wirklich kitzligen Dinge passieren nicht hier in der Bundespressekonferenz, sondern eher dann in Cafés, im Hinterzimmer, wo man Informationen bekommt. Nicht hier." Umschlagplatz für Informationen
Aber hier: Solche Hinterzimmer, in denen Journalisten angeblich Informationen bekommen, gibt es in Berlin fast überall. Aber mit der Kamera sind wir unerwünscht. Allein schon die Frage nach diesen Hintergrundkreisen empfinden manche Kollegen als Affront. Corinna Emundts, Sprecherin Hintergrundkreis "Vino Rosso”: "Ich weiß nicht, wollen sie das jetzt noch vor der Kamera wissen, warum man nicht in den Hintergrundkreis kommen kann?" Dagmar Seitzer, Sprecherin Hintergrundkreis "Das Rote Tuch”: "Wir handeln geheime Dinge ab. Und zwar: Wir wollen Politik verstehen und das muss ein Zuschauer oder Zuhörer oder Leser nicht erfahren. Sondern er muss dann nur verstehen, was wir sagen."
Der Zuschauer und Leser muss also nur verstehen, was die Journalisten verkünden? Warum darf niemand wissen, wie zum Beispiel hier Informationen entstehen? Und wer hinter diesen Fenstern welche Nachrichten und Botschaften lanciert? Und welche Journalisten sich mit welchen Politikern treffen? Dagmar Seitzer: "Was da gemacht wird, ist unser Berufsgeheimnis. Das gleiche gilt für den Lobbyismus. Ein Lobbyist redet ja auch nie offen darüber, mit wem er spricht, welche Papiere er erhält, wo er sie hinschiebt und was daraus wird. Das ist vergleichbar." Exklusive Clubs
Ulrike Hinrichs, Ex-Redakteurin ZDF "Frontal 21": "Der Mehrwert besteht einfach darin, dass wir die Wahrheit erfahren und die dann - so bitter es für manche auch ist - nicht schreiben oder senden dürfen." Die Wahrheit exklusiv für Journalisten? Es gibt viele solcher "Hintergrundkreise" in Berlin. "Die Gelbe Karte" - ein eher links-liberaler Kreis, der "Brückenkreis", das eher konservative Pendant, "Die Millionäre" vertreten die auflagenstarken Regionalzeitungen, im "Roten Tuch" sind die Frauen unter sich. Dann gibt es die "Enklave","Das Kartell" und "Korrespondentenkollektiv Koko", den "Dresslerkreis", den "Provinzkreis", "Berliner Zimmer", "U30", "Tacheles", "Vino Rosso", "Vier Sterne Kreis", "Salon Wissen", "Antenne".
Hier trifft sich regelmäßig einer dieser Kreise. "Spiegel”-Korrespondent Hartmut Palmer ist auf dem Weg zu seinem Hintergrundkreis "Gelbe Karte". Wie in allen anderen Zirkeln herrscht auch hier striktes Drehverbot. Nach langem Hin und Her erhalten wir wenigstens einen kleinen optischen Einblick in diesen Kreis, der bereits in Bonn Furore machte. Für die Mitglieder der "Gelben Karte" gelten strenge Regeln. Nur ein Vertreter pro Redaktion ist zugelassen, die Teilnahme ist Pflicht. Neuaufnahmen sind zurzeit nicht erwünscht, fremde Zuhörer ausgeschlossen. Beim Mittagessen soll eine lockere Atmosphäre entstehen. Eingeladen ist heute der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg. "Die Gelbe Karte": Ein Kreis mit klaren politischen Konturen. Hartmut Palmer, Sprecher Hintergrundkreis "Gelbe Karte": "Wir nehmen nicht einen auf, von dem wir wissen, dass er sowieso in irgendwelchen CSU- oder CDU-Kreisen verkehrt. Wir haben sowieso das Prinzip, dass wir sagen: ´Wir wollen ein Kreis sein. Heterogen in sich.´ Aber wir bekennen uns schon dazu, dass wir im Grunde auf dem linken Spektrum stehen.” Tissy Bruns, Sprecherin Hintergrundkreis "Gelbe Karte”: "Auch die Gedanken, die noch nicht ganz ausgereift sind, sind ja für die Öffentlichkeit interessant. Ideen, die gerade ganz neu sind. Da wollen wir ja alle ein bisschen den Finger am Puls haben." Heute geht es um den Regierungsstil von Angela Merkel - selbstverständlich ohne Kamera. Private Atmosphäre gewünscht?
Aber es geht auch noch anonymer: ganz exklusiv und nur für ganz wenige. In den Wohnungen von Journalisten. Sie laden Politiker zu sich nach Hause ein, führen intensive Gespräche in ihren Wohnzimmern. Aber auch hier: Niemand soll es wissen. Tissy Bruns: "Also, darüber verrate ich Ihnen einfach nichts." Reporter: "Also, am schönsten ist es dann schon in der Küche oder im Wohnzimmer?" Tissy Bruns: "Nein, keinesfalls. Das ist ja immer noch nicht privat, es ist ein öffentliches Gespräch, kein Geheimclub." Günter Bannas, Berliner Politik-Chef "Frankfurter Allgemeine Zeitung”: "Je kleiner der Kreis, desto exklusiver die Information und desto sicherer ist auch, dass der Informant ungenannt bleibt." "Der Wohnzimmerkreis": Günter Bannas, der "FAZ"-Hauptstadtchef, gilt als der Kopf des Kreises. Mit dazu gehören unter anderem Tissy Bruns, Thomas Roth und Richard Meng von der "Frankfurter Rundschau". Treffen als Testballons
Doch nicht nur Journalisten laden ein, auch Politiker. Die Parteivorsitzenden, die Fraktionsvorsitzenden und ihre parlamentarischen Geschäftsführer. Auch die Ministerien laden zu vertraulichen Hintergrundkreisen. Warum? Thomas Steg, stellvertretender Sprecher der Bundesregierung: "Wenn man gern erst mal abschätzen möchte, ob etwas funktioniert, läuft und wirkt, dann kann man das in so einem Hintergrundgespräch gut machen. Denn das Hintergrundgespräch bietet in gewisser Weise auch Schutz, weil man als Quelle hinterher, wenn geschrieben oder berichtet wird, nicht auftaucht. Dann ist man ein so genannter ’informierter Kreis’ oder eine ’informierte Quelle’ oder wie auch immer."
Wie auch immer - in Berlin kann man vieles streuen, bereden, auch intrigieren. Jede Nacht, jeden Tag. Doch wer gegen wen? Wer mit wem und wo ? Es bleibt geheim.