Immer wieder erstaunt es einheimische praktizierende Muslime, wie sie Zeugen einer intensiven und lang anhaltenden Diskussion über sich und ihre Religion werden, ohne daran in irgendeiner Form beteiligt zu sein.
Dabei gäben die Fakten im vorliegenden Fall wirklich viel Stoff für eine lang anhaltende Berichterstattung. Doch nicht die eigentlichen Fakten stehen im Mittelpunkt der Hofberichterstattung, sondern der inszenierte Kampf zur Aufhetzung von Volksgruppen gegen andere, hier insbesondere von Christen gegen Muslime.
Was war eigentlich passiert? Der Hessische Kulturpreis hatte angeblich eine noble Absicht: Gleichermaßen sollten Vertreter des Christentums, des Judentums und des Islam einen gemeinsamen Preis erhalten, um so eine Annäherung der Religionen zu fördern. Bereits die Auswahl der ersten Preisträger aber offenbarte, dass die Preisverleiher an alles andere gedacht hatten, als eine gleichberechtigte Beteiligung der Religionen. Auszuzeichnende Vertreter des Christentums sollten sein Kardinals Karl Lehmann und des früheren evangelischen Kirchenpräsidenten von Hessen-Nassau, Peter Steinacker. Das Christentum sollte also durch zwei anerkannte und in der religiösen Aktivität ausgezeichnete Persönlichkeiten beider Konfessionen zugegen sein. Ähnlich sah es beim Judentum aus: Der erwählte Preisträger Salomon Korn ist Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main sowie Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Wer aber war für den Islam vorgesehen; ein Moscheevorsitzender, ein Vertreter eines der Dachverbände oder gar der amtierende Vorsitzende des Koordinierungsrats der Muslime? Wenn all diese Vertreter nicht vorgesehen waren, war es dann zumindest ein kleinerer Moschee-Mitarbeiter, der durch seine gesellschaftsförderlichen Aktivitäten aufgefallen war? Oder hat man zumindest irgendeinen halbwegs praktizierenden Muslimen nominiert, der – wenn auch nicht im gleichen Niveau wie die Vertreter des Judentums und des Christentums – zumindest den Hauch von Islam in die Preisverleihung mit hineinbringen könnte, weil er zumindest einen Bart hat oder sie ein Kopftuch trägt und von sich behaupten kann, schon einmal den Heiligen Qur’an irgendwo gesehen zu haben?
Nein, all das war nicht vorgesehen für die Vertretung des Islam. Den Islam sollte Prof. Fuat Sezgin vertreten; zweifelsohne eine respektable Person mit muslimischen Hintergrund. Er ist türkischer Orientalist, Autor und Herausgeber zahlreicher wissenschaftliche Werke, Professor emeritus für Geschichte der Naturwissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main sowie Gründer und Leiter des Instituts für Geschichte der arabisch-islamischen Wissenschaften. Er ist Träger des König-Faisal-Preises für Islamwissenschaften (1978), der Goetheplakette der Stadt Frankfurt am Main (1980), erhielt den Bundesverdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland (1982) und das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (2001). Zugegeben, die letzten drei Auszeichnungen mögen in Deutschland auf Anerkennung stoßen, aber sie demonstrieren nicht unbedingt die besondere Nähe zum Islam und den Muslimen in Deutschland. Und der erste Preis ist die Auszeichnung von einem wahabitisch-diktatorischen System, das ebenfalls nicht unbedingt die Begeisterung der hiesigen Muslime finden wird. Jegliche Aktivitäten von ihm in hiesigen muslimischen Gemeinden sind zumindest nicht bekannt.
Daher stellte bereits jene erste Nominierung eine Art “Weichenstellung“ im Hinblick auf die “Gleichberechtigung“ von Judentum, Christentum und Islam dar. Juden und Christen dürfen ihre eigenen Vertreter vortreten lassen, die “Vertreter“ des Islam wählt das System aus; eine Praxis die einerseits schon zur Gewohnheit unter hiesigen Muslimen geworden ist und niemanden verblüfft und andererseits aber das Herrenmenschendenken gegenüber dem Islam und den Muslimen offen legt!
Verblüffend war dann aber in jedem Fall, dass Prof. Fuat Sezgin den Preis abgelehnt hat und noch verblüffender war seine Begründung: Der jüdische Mit-Preisträger Salomon Korn habe den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern "öffentlich so kommentiert", dass es ihm, Sezgin, bei seiner "politischen Überzeugung und seinem kulturellen Verständnis" unmöglich sei, den Preis anzunehmen. Im Klartext: Salomon Korn hat die bekannte zionistische Position vertreten, dass Israel zum Massaker im Gaza berechtigt gewesen sei (er würde es natürlich Selbstverteidigung nennen) und Sezgin konnte es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, zusammen mit solch einer Person ausgezeichnet zu werden. Das war eine Sensationsnachricht, die eigentlich die Schlagzeilen hätte füllen müssen. Das Gaza-Massaker wäre wieder in aller Munde gewesen. Fragen darüber, wie es der Bevölkerung im Gaza jetzt geht, nachdem immer noch das Gebiet faktisch als größtes Freiluftkonzentrationslager der Welt fungiert, hätten aufgeworfen werden können. Auch hätte man die Frage stellen können, warum jemand in Deutschland, für was auch immer, ausgezeichnet wird, wenn er die Tötung von 1500 Menschen, darunter zahllose schutzlose Frauen und Kinder befürwortet oder zumindest rechtfertigt. Aber nichts dergleichen geschah! Keine einzige Zeitung der Hofberichterstattung berichtete darüber, dass Prof. Sezgin den Preis mit jener Begründung abgelehnt hat, als er dieses getan hatte! Ein Schelm, wer hier an zionistisch “orientierte“ Gleichschaltung denkt.
Publik wurde die ganze Geschichte dann erst später in einem völlig verdrehten und damit die ganze Geschichte auf den Kopf stellenden Zusammenhang. Als “alternativer“ muslimischer Preisträger wurde Prof. Navid Kermani durch den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) ausgewählt. Prof. Kermani steht Prof. Sezgin in Aktivitäten in Moscheen, Einbindung in muslimische Gemeinden und Mitarbeit unter praktizierenden Muslimen in nichts nach; er ist dort genau so unbekannt. Dafür hat auch er sich ähnlich muslimisch relevante Auszeichnungen verdient: Ernst-Bloch-Förderpreis (2000), Jahrespreis der Helga-und-Edzard-Reuter-Stiftung (2003), Europa-Preis der Heinz-Schwarzkopf-Stiftung (2004).
Eigentlich hätte jetzt alles gut sein können: Christentum und Judentums vertreten durch anerkannte Mitglieder der jeweiligen eigenen Glaubensgemeinschaften, Islam vertreten durch anerkannte Mitglieder der Christen und Juden, und alles ist so, wie es immer ist. Aber jetzt spielten die Vertreter des Christentums nicht mehr mit: Sie nahmen Anstoß an einem Feuilleton-Artikel Kermanis über ein Kreuzigungsgemälde von Guido Reni, der am 14. März 2009 in der NZZ veröffentlicht wurde. Der Artikel Kermanis mit dem Titel „Warum hast Du uns verlassen“ ist in voller Länge nachlesbar in der Neuen Züricher Zeitung unter:
Am 24.4.2009 schrieb Lehmann einen Brief an den hessischen Ministerpräsident Koch, in dem er darlegte, dass er "unter diesen Umständen den Preis nicht in Empfang nehmen kann". Lehmann hatte vorher weniger Probleme mit dem Gaza-Massaker gehabt. Jetzt wollten also die Vertreter des Christentums den Preis nicht mehr annehmen. Was hatte man bei Prof. Sezgin gemacht; als er darauf hinwies, dass er nicht zusammen mit dem Vertreter des Judentums, der eigentlich den Zionismus vertrat, den Preis annehmen könne? Man hatte den Muslim ausgewechselt. Und was tat man bei dem Christen, der den Preis nicht zusammen mit dem angeblichen Vertreter des Islam annahm? Man wechselte wieder den Muslim aus bzw. schmiss ihn ganz raus. Das ist die Form der Gleichbehandlung, welche Muslime in diesem Land schon geradezu als “erschreckend normal“ empfinden und eher sarkastisch darüber schmunzeln.
Kochs Rolle als Vermittler zwischen den Religionen lag in einem Trümmerhaufen! Der Grund war aber nicht erst die Nominierung Kermanis und die Reaktion der Christen, sondern das ganze Verfahren der Auswahl war ein Hohn gegenüber dem Islam und die gläubigen Muslime im Land. Jetzt aber warf sich die Hofberichterstattung mit aller Vehemenz auf das Thema. Prof. Sezgins Ablehnung wurde zwar zwangläufig am Rand erwähnt, aber das Hauptthema war nicht die Kriegsbefürwortung des jüdischen Preisträgers, sondern der angebliche Kulturkampf zwischen Christen und Muslimen.
Aber hatte Kermani wirklich eine halbwegs “muslimische“ Position vertreten gegen das Christentum? Oder hatte er in dem Artikel nicht im gleichen Maß Christentum und Islam beleidigt? Hatte eigentlich irgendjemand seine Artikel gelesen, bevor sie ihn verteidigten oder verurteilten?
Das steht z.B.: „… Gewiss stößt mir die Lust, die katholische Darstellungen seit der Renaissance an Jesu Leiden haben, auch deshalb so auf, weil ich es von der Schia kenne und nicht kenne. Ich kenne es, weil das Martyrium dort genauso exzessiv bis hin zum Pornografischen zelebriert wird, …“
Ist das wirklich die Position des Islam? Wollen Muslime wirklich Christen vorwerfen, sie würden das Martyrium „bis hin zum Pornografischen zelebrieren“. Oder wollten sunnitische Muslime ihren schiitischen Glaubensgeschwistern in Deutschland so etwas vorwerfen im Gedenken an das Martyrium Imam Husains in Kerbela; ein Martyrium das großartige Menschen aller Epochen inspiriert hat, wie z.B. Mahatma Gandhi? Ganz sicher nicht!
In dem Text von Kermani heißt es auch: „Der Koran sagt, dass ein anderer gekreuzigt worden sei. Jesus sei entkommen. Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie.“ Kermani gibt zu, dass er die Ablehnung des Kreuzigung Jesu drastischer formulieren wolle, als Gott es aus muslimischer Sicht im Heiligen Qur’an tut. Ist das eine islamische Position? Wo im Islam wird derart auf die Kreuzigung eingeprügelt, wie es Kermani tut? Die Ablehnung der Trinität ist eine Sache, die Kreuzigung eine andere! Hat Kermani denn nie die wunderbare Schrift des Christen Paul Schwarzenau mit dem Titel “Korankunde für Christen“ gelesen, in dem er gerade im Kreuz die Annäherung zwischen Islam und Christentum sieht?
Im Anschluss an diese tagtäglich weiter ausgedehnte Skandalisierung der Ereignisse finden sich dann sehr merkwürdige Allianzen. Einflusreiche Zionisten, die sogar öffentlich das Folterverbot zur Diskussion stellen wollten, unterstützen plötzlich Kermani gegen das Christentum! Ja, merkt denn hier niemand, wie die Welt auf den Kopf gestellt wird? Kermani war Ersatzmann für einen Prof. der sich gegen den militanten Zionismus gestellt hat und wird jetzt von einigen gegen das Christentum gestützt, die einen militanten Zionismus unterstützen. Und die Hofberichterstattung fällt über alle potentiellen Preisträger und alle sonstigen Beteiligten her, nur einer wird verschont! Aber war nicht der eine Preisträger der eigentliche Skandal, über dessen skandalöse Nominierung jetzt gar nicht mehr diskutiert wird?
Muslime sind es gewohnt, in Skandale verwickelt zu werden, mit denen sie absolut nichts zu tun haben! Denn für wen hätte man sich denn äußern können. Kein einziger der Akteure hat irgendetwas mit Moscheen zu tun. Aber es wird dennoch Zeit nach so langem schweigsamem Zuschauen oder lediglich Berichterstattung, dass auch Muslime im Land sich dazu äußern und Stellung beziehen.
Muslime glauben an Jesus als großen Gesandten Gottes. Er ist Sohn der Heiligen Maria, die ihn wundersam geboren hat. Er ist – wie seine Mutter – ein fehlerfreier Mensch und gelebte Offenbarung. In wie weit er selbst am Kreuz gehangen hat und dann gerettet wurde oder bereits vorher dieser Folter entkam, ist nicht das Thema, welches Muslime “gegen“ Christen diskutieren würden. Es ist nicht das Kreuz, dass uns trennt, sondern die Dreieinigkeit! Aber der Unterschied zwischen Muslimen und Christen, der Unterschied zwischen “Sohn Gottes“ (im Christentum) und offenbarter “Geist Gottes“ (im Islam) – so groß er theologisch auch sein mag – ist immer noch erheblich geringer, als der Unterschied beider Religionen zu dem Hofjournalistenfirlefanz, der offenbar nur die Aufhetzung gottesehrfürchtiger Menschen gegeneinander zum Ziel hat. Und derartige “Preise“ sind eine Schande für das Land, für Juden, Christen und Muslime gleichermaßen!
Abschließend nur zur Erinnerung: Sollte eines Tages der ungewöhnliche und geradezu sensationelle Fall eintreten, dass irgendjemand in diesem Land einen praktizierenden “Muslim“ für irgendetwas auszeichnen will, empfehlen wir, sich an die muslimischen Organisationen zu wenden, so ungewöhnlich der Vorschlag auch erscheinen mag!