In Deutschland ist es, wohl hauptsächlich bedingt durch den Vorwahlkampf, zu einem Schlagabtausch zwischen Außenminister (SPD) und Innenminister (CDU) über den Umgang mit freigekommenen Guantanamo-Häftlingen gekommen. Dabei ist bis heute noch nicht so ganz klar, welche Funktion Guantanamo eigentlich hatte?
Zunächst einmal ist durch einen Erlass des neuen US-Präsidenten Obama deutlich geworden, dass Guantanamo gar nicht das einzige Foltergefängnis der USA ist. Daneben gab und gibt es wohl eine ganze Reihe weiterer “Geheimgefängnisse“, deren Schließung Obama jetzt mit angeordnet haben soll. Dadurch wird eines deutlich: Die USA waren also seit nunmehr über sieben Jahren in der Lage “Geheimgefängnisse“ zu führen, ohne dass die westliche Welt ernsthaft darüber berichtet hätte oder westliche Politiker ernsthaft dagegen protestiert hätten. Und die Tatsache, dass es sich um “Geheimgefängnisse“ handelt, deutet darauf hin, dass dort gefoltert und gemordet werden konnte nach belieben, ohne dass irgendjemand in der Welt es mitbekommen hat. Wozu bedurfte es dann über so viele Jahre eines so ungeheimen Gefängnisses, wie Guantanamo? Eigentlich war Guantanamo ja geradezu dazu prädestiniert, “herauszukommen“ liegt es doch auf Kuba, auf einer Insel, deren restliche Teile nicht gerade als befreundet mit den USA betrachtet werden können. Was war also der Grund dafür, dieses Gefängnis zu betreiben? Zumindest als der Skandal derartige Ausmaße angenommen hatte, dass selbst die engsten Verbündeten (bis auf deutsche Spitzenpolitiker) gewisse Bauchschmerzen bekommen hatten, hätte man doch das Gefängnis zum Beweis der Menschlichkeit der USA schließen, einige der Gefangenen frei lassen und den Rest in andere Geheimgefängnisse verfrachten können?! Warum hat man das nicht getan?
Zunächst einmal gab es nicht die geringste Veranlassung, sich von solch einem Verbrechen zu distanzieren, denn man war und ist sich sicher, dass die Verbrecher bzw. Verantwortlichen dafür niemals belangt werden! Das ist Konsens in der derzeitigen westlichen Welt der Spitzenpolitiker, dass westliche Politiker unabhängig von der Größe ihres Menschenrechtsverbrechens niemals dafür belangt werden. Eher das Gegenteil war der Fall. So hatte Innenminister Schäuble – auch wenn er “natürlich“ gegen Foltergefängnisse war – ein gewisses Verständnis für Guantanamo signalisiert. Und die nahezu gesamte Bundesregierung unterstützt z.B. die Verbrechen Israels gegen die Zivilbevölkerung des Gaza. Weder US-Politiker noch israelische Politiker mussten also jemals befürchten, für diese Verbrechen zur Verantwortung gezogen zu werden. Auch für Abu Ghraib gab es niemals Verfahren gegen die Oberbefehlshaber; sie wurden ohne Verfahren frei gesprochen!
Aber die Tatsache allein, dass man für seine Verbrechen nicht belangt wird, kann ja nicht der Grund dafür sein, ein Gefängnis wie Guantanamo so viele Jahre zu betreiben. Es muss ja auch Gründe dafür geben, warum man all den Aufwand und den Imageschaden auf sich nimmt.
Jetzt jedenfalls soll das Gefängnis binnen eines Jahres geschlossen werden. Warum das noch so lange dauern soll, dürfen Hofjournalisten weder in den USA noch in Deutschland fragen. Das Einzige was sie fragen dürfen ist, was mit den Häftlingen geschehen soll. Dabei wird ganz offen zugegeben, dass sich unter den Häftlingen Leute befinden, denen “nicht einmal“ die USA mehr Vorwürfe machen. Sie könnten aber nicht frei gelassen werden, weil die Heimatländer sie nicht aufnehmen wollten bzw. ihnen dort die Todesstrafe drohte.
Stockt der Leser an dieser Stelle? Wenn nicht empfehlen wir obigen Abschnitt noch einmal zu lesen, denn der Hofberichterstattung ist es an dieser Stelle offenbar gleichgeschaltet nicht erlaubt zu stocken oder nachzufragen! Warum kann jemand der unschuldig ist bzw. dem man nichts vorzuwerfen hat, nicht gleich heute frei gelassen werden?
Wir haben also die Situation das irgend ein Land dieser Erde (um es auch dem westliche verbundenen Leser leicht zu machen, muss es ja nicht die USA sein, es könnte ja auch Russland sein), also irgend ein Land der Erde hat sieben Jahre Lang vor den Augen der Weltöffentlichkeit Häftlinge gefoltert, denen sie – wie sie heute zugibt – nichts vorzuwerfen hat. Kein anderes Land will jene Häftlinge aufnehmen. Was wäre die logische Folge? Was würde jeder halbwegs menschlich denkende Leser, der seinen Verstand noch nicht vollständig verkaufte hat, denken? Müsste nicht in diesem Gedankenfall Russland (es muss ja nicht die USA sein) die Leute frei lassen, ihnen eine Entschädigung zahlen und dann ihnen ein friedliches Leben auf eigenem Boden gewähren? Wäre das nicht das Mindeste, was man von Russland verlangen könnte, wenn es Russland gewesen wäre?
Es war aber nicht Russland sondern die USA. Hat man eigentlich auch nur ein einziges Mal von irgendwelchen Entschädigungszahlungen an unschuldig sieben Jahre lang gefolterte Menschen in Guantanamo gehört? Hat irgendjemand von der Hofberichterstattung jemals danach gefragt? Hat irgendein westlicher Politiker zumindest höflich danach gefragt, wie es denn mit so einer Art “Entschädigung“ wäre? Am Geldmangel kann es ja kaum liegen, denn derzeit ist das Gelddrucken in der Welt für sämtliche Regierungen ja offenbar frei gegeben worden.
Nun gut, Entschädigungen soll es nicht geben. Aber jene Häftlinge sollen zumindest frei kommen. Wäre es nicht das Allermindeste, was die Bundesregierung von Russland (wenn es Russland gewesen wäre) verlangt hätte, dass sie selbst jenen Häftlingen ein gutes Leben gewährt? Und genau darüber streitet jetzt die SPD mit der CDU. Denn es geht darum, ob Deutschland Häftlinge aufnimmt oder nicht, denn es ist weder an irgendwelche Entschädigungen gedacht, noch an die Selbstverständlichkeit, dass die Leute in den USA unterkommen.
Bei einem Interview zum Thema mit Bundesinnenminister Schäuble sagte er in der ARD-Tagesschau 25.1.2009 zur besten Sendezeit 20:00 folgenden verräterischen Satz, als er die Dinge aufzählte, die zu berücksichtigen sind:
„… wenn wir beide fünf Jahre unter solchen Umständen in Guantanamo gewesen wären, wären wir wahrscheinlich auch noch eher gefährlicher, als ohne eine solche Leidenszeit, das muss man sehen.“
Mit “wir beide“ meinte Schäuble den fragenden Reporter und sich selbst. Erstmalig hat damit ein deutscher Spitzepolitiker die Wirkung eines solchen Gefängnisses öffentlich zugegeben: Jemand, der sieben Jahre lang unschuldig gefoltert wird von einem bestimmten System, könnte dann, wenn er frei kommt, möglicherweise eventuelle gegenüber jenem System nicht mehr ganz so freundlich gesonnen sein! Zugegeben, das ist eine Weisheit, für die man weder Irgendetwas-Experte im deutschen Fernsehen sein, noch eine akademische Laufbahn erfolgreich bewältigt haben muss. Aber dennoch ist es das erste Mal, dass ein regierender und für seine US-Nähe bekannter westlicher Politiker dass so deutlich ausspricht.
Da aber davon auszugehen ist, dass jene Erkenntnis nicht nur Herrn Schäuble in einer Situation überwältigt hat, da es darum geht, solche Leute nach Deutschland zu holen, sondern auch schon vorher bekannt war und selbst das Intellekt von US-amerikanischen Politikern und Hofjournalisten nicht überfordert, wäre es dann kein all zu großer Schritt mehr von dieser Erkenntnis zu der eigentlichen Absicht jenes Gefängnisses zu schließen.
Könnte es nicht sein, dass Guantanamo (und einstmals auch Abu Ghraib) genau jene Funktion der “Radikalisierung“ des Gegners hatte? War es nicht das Ziel der westlichen Doktrin, sich seine eigenen Terroristen zu schaffen, die man dann bekämpfen konnte? Abu Ghraib war militärisch nicht zu halten und musste aufgegeben werden. Aber für Guantanamo gab es keine militärische Bedrohung, deswegen wurde das Gefängnis so lange aufrecht erhalten, bis sich die Doktrin geändert hat. Da der Weg der ewigen Konfrontation in einer Zeit des ökonomischen Niedergangs nicht mehr “zu verkaufen“ ist, soll jetzt (bis auf die Ausnahme der ewigen Unterstützung jedes Verbrechens Israels) ein zumindest in der Wirkung mehr nach “Konsens“ erscheinender Weg bestritten werden. Und da passt Guantanamo nicht mehr.
Bleibt also “nur“ noch das Problem mit den noch nicht ganz “ausgebildeten“ Häftlingen. Das Problem ist vergleichbar einem Unternehmen, bei dem die Gesellenanwärter vor der Prüfung stehen aber jetzt das Unternehmen geschlossen werden soll. Welches andere Unternehmen wäre schon bereit, jene Anwärter zu übernehmen und ihre Prüfung abzunehmen? Jene zukünftigen Terroristen sind noch nicht hinreichend “radikalisiert“ aber eben schon ein wenig. Was soll man jetzt mit ihnen machen?
Dass den Spitzenpolitikern der westlichen Welt da schon etwas einfallen wird, ist zweifelsohne anzunehmen, denn die Bundesregierung will den Konfrontationskurs gegen die islamische Welt – nicht nur mit ihren Äußerungen zum Gaza-Massaker – auch zukünftig verschärfen. Heute wurde im Handelsblatt ein Bericht veröffentlicht, wonach die Bundesregierung den Handel deutscher Unternehmen mit dem Iran drastisch beschränken will. Es ist immer wieder erstaunlich, wie diese Bundesregierung Entscheidungen zu Lasten der eigenen Wirtschaft und damit gegen die Interessen der eigenen Bürger fällt, ohne dass sie deshalb in die Kritik gerät, denn es geht ja “nur“ gegen Muslime. Auch der Wideraufbau in Gaza ist – so kaltherzig das jetzt klingen mag – letztendlich ein “Geschäft“ mit Langfristwirkung. Würden man, wenn man Bürger des Gaza wäre, heute noch freiwillig deutsche Produkte kaufen, wenn man die Äußerungen der Bundeskanzlerin zu dem Massaker gehört hätte?
Der ewige Konfrontationskurs, der in den Köpfen mancher westlicher Politiker steckt, wird zukünftig nicht mehr zu halten sein! Die Bürger der Erde, seien sie in China beheimatet oder in den USA, in Südafrika oder in Norwegen, wünschen eine andere Welt. Der subtile Dauerkonflikt entspricht nicht mehr dem Lebensgefühl der Menschen. Guantanamo könnte ein Anfang sein. Danach muss aber auch Gaza aufgelöst werden für ein gemeinsames Miteinander von Juden, Christen und Muslimen und Frieden und Freiheit in Gerechtigkeit.
Falls aber ein Politiker glaubt, er könne Frieden ohne Gerechtigkeit bewirken, der kann nur sich selbst und seine Hofjournalisten betrügen. Guantanamo wird so lange weiter existieren, so lange Bush, Rumsfeld und Cheney nicht dafür angeklagt und verurteilt werden, selbst wenn es in einem Jahr tatsächlich geschlossen sein sollte.