Die Macht des Gebets wird immer viel zu sehr unterschätzt. Aber Gott selbst baut seinen Thron im Herzen eines jeden Gläubigen! Und welches Atom dieser Erde könnte sich gegen die Macht jenes Thrones widersetzen?
Jemand hatte gestern Nacht einen Traum, den er mir erzählte. Normalerweise bittet er mich nicht, es weiter zu erzählen. Bei diesem Traum aber ist es anders, denn er habe das Gefühl, dass auch andere die Nachricht des Traums vernehmen sollen, die er selbst noch gar nicht richtig verstanden habe. Es war kein gewöhnlicher Traum, sondern ein Traum im Traum. Er träumte, dass er träumte. Um den Traum mit seinen berührenden Worten wiederzugeben, erzähle ich seine Schilderung im Folgenden in seiner Ich-Form:
[Beginn des Traums] Ich stand in einem zerbombten Haus in Gaza in einem höheren Stockwerk, dessen Fassade in Richtung der Gebetsrichtung durch Bombeneinschläge völlig niedergerissen war. Aber es war eine so merkwürdige Stille um mich herum, Nebelschwaden, welche die Sicht trübten und Kälte, aber ich fror kein Stück. Mir war eher angenehm warm. Weit und breit kein Mensch, aber die Ruhe der Bedrückung von so viel Leid war nicht fern. Ich stand im Gebet mit einem schwarzen Gebetsumhang. Ich stand in der Anfangsstellung des Gebets in Richtung der fehlenden Wand in Richtung der Nebelschwaden und verlas in aller Ruhe die Suren des Heiligen Qur´an. Ich verlas stimmhaft. Es war aber irgendwie ein merkwürdiges Gebet, denn es war am Vormittag, also keine Zeit, in der man üblicherweise ein rituelles Gebet verrichtet. Schon nach wenigen Versen fing ich an zu zittern. Es war aber kein Zittern aus Kälte oder Furcht. Es war ein Zittern, das von Außen in mich hineingetragen wurde, dessen Ursprung aber ich zunächst nicht erkannte. Und das Zittern wurde immer heftiger. Plötzlich fing auch das Haus an zu zittern. Da ich schon einige Erdbeben direkt miterlebt hatte, dachte ich sofort während des Gebets an ein mögliches Erdbeben. Ich überlegte mir, ob ich mich in Sicherheit bringen sollte. Aber im Gegensatz zu “echten“ Erdbeben war dieses Zittern nicht bedrohlich. Obwohl es heftiger zitterte und bebte, als ich es je zuvor erlebt hatte, stürzte nichts ein. Das Beben weitete sich immer weiter aus und umfasste irgendwie den ganzen Gaza, ganz Palästina; ein Beben, das nicht zerstörerisch war, sondern eher Hoffnung verbreitete.
Ich wachte aus dem Traum im Traum in den “oberen“ Traum auf und entschloss mich sozusagen im Liegen das Gebet einfach weiter zu beten, was ja im Realen unsinnig ist. Erst dann wachte ich auch aus diesem Traum auf und hatte ein hoffnungsvolles Gefühl im mir. [Ende des Traumes]
Das hatte also der Träumende geträumt; die Schilderung war sehr eindrucksvoll und die Bilder kamen in der Schilderung gut herüber. Aber was war das für ein Zittern oder Beben? Ich verstand den Traum auch nicht. Spontan aber fiel mir ein Zittern ein, dass ich vom Propheten kannte.
Nachdem Allah dem Prophet Muhammad (s.) eine Fülle Seiner besonderen Gnade erwiesen hatte, offenbarte Er ihm den gesamten Heiligen Qur´an in einer Heiligen Nacht, der Nacht der Bestimmung (vgl. Sure 97) in sein Herz. Als die Zeit für die Veröffentlichung der Prophetentums reif war, sandte Allah ihm den Erzengel Gabriel (a.), damit Gabriel (a.) die in das Herz des Prophet Muhammad (s.) geschriebenen Worte auf seine Zunge bringen möge, um den Prophet Muhammad (s.) in seiner schweren bevorstehenden Aufgabe zudem zu bestärken. Gabriel (a.) nahm den Arm des Propheten sagte zu ihm: „Oh Muhammad, lies!“, und der Prophet fragte: „Was soll ich lesen?“ (vgl. Sure "al-Alaq", 96. Sure)
An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass Gabriel nicht sagte „sprich“, sondern „lies“. Lesen kann man nur etwas, was irgendwohin geschrieben wurde, und man es erkennen kann. Der Prophet Muhammad (s.) antwortet hier auch nicht, wie manche Muslime irrtümlicherweise glauben „Ich kann nicht lesen“ oder ähnliches, sondern fragt, welche der tausenden und abertausenden in sein Herz eingebrannten Worte er denn nun als erstes lesen solle.
Und Gabriel (a.) sagte: „Lies im Namen deines Herrn (Heiliger Qur'an 96:1 ff ). Danach verlas Prophet Muhammad (s.) die Offenbarung Gottes.
Dann kam der Muhammad (s.) aus der Höhle Hira heraus. Am Horizont hatte sich Gabriel (a.) in der für ihn schönstmöglichen Gestalt aufgebaut, um den Propheten (s.), das beste aller Geschöpfe, zu grüßen und zu ehren. Die Faszination der Wahrheit war in jedem Atemzug zu spüren.
Jeder Blatt, jeder Stein, jeder Baum und jeder Grashalm grüßte den Propheten mit dem Friedensgruß "as-salamu-alaika, ya ayyuhannabi-ullah" (Der Friede sei mit Dir, oh Prophet Gottes). Prophet Muhammad (s.) hörte bei jedem Ding, an dem er vorbeiging, diese Stimmen: „Friede sei mit dir, o Muhammad, Friede sei mit dir, o Freund Gottes, Friede sei mir dir, o Gesandter Gottes“ und tausenden Engel grüßten ihn. Wegen der Herrlichkeit Gottes, die ihn erleuchtet hatte, der Faszination des Islam, die ihn, den Auserwählten, grüßte, der wunderbaren Gestalt Gabriels (a.), der sich in alle Blickrichtungen vor ihm aufbaute und seiner eigenen Bescheidenheit über diese Gnade Allahs erzitterte und erschauerte der gesamte Körper des Prophet Muhammad (s.), als wenn er krank war. So kam er zuhause an und seine Frau Chadidscha (a.) erkannte sofort die Situation, auch sie hatte mit ihrem Mann gewartet auf diesen Moment. Und sie holte eine Decke und wickelte ihn ein. Dann kamen die Verse „Oh Du Eingehüllter... (Heiliger Qur´an 74:1ff.)." Goethe hat dazu sein Gedicht Mahomets Gesang verfasst.
Doch was war das für ein Erzittern des Propheten? Sunnitische Geschwister glauben, dass es ein Zittern aus Unsicherheit und sogar Zweifel war. Sie liefern das Motiv für die Orientalisten, deren gesamte Aufgabe darin liegt, “Schwachstellen“ im Islam auszumachen, und die erste Offenbarung ist eines ihrer Lieblingsmotive. Ein Prophet, der nicht weiß, ob er Prophet ist oder nicht, ist eine bedauerliche innerislamische Verfälschung.
Aber auch die Schiiten, die genau wissen, dass der Prophet aus Faszination zitterte und nicht den geringsten Anflug an Zweifel hatte, sind immer wieder aufs Neue überrascht von der Heftigkeit jenes Erzitterns. Was hatte Prophet Muhammad (s.) in jener Höhle an jenem Tag gesehen?
Manche glauben, dass der Prophet in jenem Moment die gesamte Menschheitsgeschichte gesehen hat und deshalb erzitterte. So viel Leid, so viel Elend, so viel Trauer, so viel Unterdrückung des Menschen durch den Menschen. Hatte er das wirklich alles gesehen? Hatte er in dem Moment erstmalig seinem Enkel Husain gesehen, der noch gar nicht geboren war? Hatte er gesehen, wie er mit seinen getreuen in der Ebene von Kerbela am Tage von Aschura massakriert werden sollte? Wenn er wirklich das gesehen hat, dann ist sein Zittern wahrlich zu verstehen! Sein Enkel, der Vertreter und Bewahrer der göttlichen Botschaft, sollte vor aller Muslime Augen im missbrauchten Namen des Islam niedergemetzelt werden, aber von wem?
Die Mörder waren die Reichen, die Mächtigen, die “Gebildeten“, diejenigen, die das Geld der Welt beherrschten, diejenigen, welche die Nachrichten der Welt beherrschten, diejenigen, die glaubten mit all ihrem Geld und ihrer Macht alles kaufen und alles beherrschen zu können, diejenigen, die sogar den Namen der Religion missbrauchten! Aber Imam Husain konnten sie nicht beherrschen. Er unterwarf sich nicht der Macht der Gewalt, den er war durchdrungen von der Gewalt der wahren Macht, eine Macht die ihm sagte: „Unterdrücke nicht und lass dich nicht unterdrücken“. Jene gewaltige Macht forderte Imam Husain auf, sich an die Seite der Barfüßigen, der Armen, der Unterdrückten, der Schwachen und Kranken, der Verletzten zu stellen, damals wie heute und in allen Zeiten.
Heute stehen wir vor vielen, vielen ähnlichen Situationen. Die Parole „jeder Tag ist Aschura und jeder Ort ist Kerbela“ durchdringt alle Epochen und alle Länder.
Manche Menschen sind verwirrt. Die Nachrichten, die Kommentatoren dreschen tagtäglich auf sie ein: „Wir sind die Guten, die Anderen sind die Bösen.“ Aber warum erinnert man sich hier nicht der Worte Jesu? Auf welche Seite soll man sich stellen? Wie kann man trotz wahnsinniger Manipulation erkennen, auf welche Seite man sich stellen soll? Ist Jesu Lehre wirklich so schwer, dass man nicht weiß, auf welche Seite man sich stellen soll? Fand nicht seit Anbeginn aller Zeiten ein Kampf in dieser Welt zwischen Kain und Abel statt? Steht nicht auf der einen Seite der materielle Reichtum, der Wohlstand auf Erden, der Bildungswohlstand, der gemischt mit Überfluss und Verschwendungssucht zur Dekadenz führt? Besitzt nicht diese Seite Waffen in Hülle und Fülle, so dass sie die ganze Welt mehrfach auslöschen könnte? Und wer steht auf der anderen Seite? Sind es nicht die Armen, die Ungebildeten, weil man ihnen Bildung verwehrt. Sind es nicht die Hungrigen, weil man ihnen die Nahrung verwehrt. Sind es nicht die Hilflosen, deren Waffen so harmlos sind im Verglich zu der Gewalt der Herrschenden. Und ist nicht ihr Blutzoll in jeder Hinsicht um das Hundertfache ja manchmal Tausendfache höher, als dasjenige der Satten? Ist es wirklich so schwer zu entscheiden, auf welcher Seite Jesus stehen würde?
Hat Muhammad all das gesehen und erzitterte deshalb? Hat er Kerbela stellvertretend für all das Leid auf Erden gesehen und das Leid auf Erden dazu?
Das nächste in der islamischen Geschichte dokumentierte Erzittern eines der Reinen der Prophetenfamilie wird Imam Zain-ul-Abidin zugeschrieben, dem Sohn Imam Husains. Jedes Mal, wenn er sich zum Gebet erhob, fing er an zu zittern. Man interpretierte es so, dass er zitterte, weil er sich der Gegenwart Gottes bewusst wurde und diese Großartigkeit, vor der er nunmehr stehen würde, ihm das Zittern abverlangte. Aber war das wirklich der Grund? Hatte er nicht mit eigenen Augen miterlebt, wie sein Vater und alle seine so nahen verwandten, sein Onkel Abbas, sein Bruder Ali Akbar, alle seine Brüder, Cousins, Nahen und Verwandten abgeschlachtet wurden?
Und doch, er verspürte keinen Hass sondern Liebe! Seine Tante Zainab hatte mit überlebt. Und als man sie vor den Gewaltherrscher gezerrt hatte und dieser ihm genüsslich die Grausamkeit des Geschehenen vortrug, um ihr dann zu sagen, dass eine Frau solche Dinge nicht sehen sollte, antwortete sie: „Alles was ich gesehen habe, ist Schönheit!“
Bringt das nicht den Menschen zum Zittern?
Sind es nicht die Szenen in Gaza, die einerseits unsere Wut, unseren Hass in uns aufsteigen lassen und gleichzeitig uns lehren, diesen Hass zu unterdrücken, die Wut von der Liebe leiten zu lassen und die Schönheit zu erkennen?
Wer wird bei den Szenen, die uns vom deutschen Fernsehen vorenthalten werden, aber ansonsten überall in der Welt zu sehen sind, von “Schönheit“ sprechen; nicht einmal Zionisten kämen auf die Idee!? Und doch, es steckt Schönheit darin. Jedes ermordete Baby ist eine Grausamkeit des Menschen über den Menschen, und jeder getötete unschuldige Menschen, jede unschuldige Seele, der Leid angetan wird durch den Menschen, führt die Menschheit an einen kollektiven Abgrund, den es ist so, als würde man die ganze Menschheit umbringen. Aber es werden nicht nur Menschen getötet. Andere Menschen retten Menschenleben; Ärzten und Krankenschwestern die bis über die Grenzen menschlicher Erschöpfung hinaus arbeiten, Menschen die sich gegen eine unbesiegbar erscheinende Übermacht der Unterdrückung wehren, Menschen die in der Not teilen, obwohl sie viel zu wenig für sich selbst haben, Menschen, die überall in der Welt auf die Straßen gehen, um dem Morden Einhalt zu gebieten, Menschen, die Mitleid verspüren, obwohl sie niemandem im Gaza kennen, und Menschen, die beten; ist das nicht wunderschön?
Das Erzittern eines einzigen Gebets kann die gesamte Welt, die gesamte Menschheit verändern. Und die Gewalt der weltweiten Gewaltherrschaft hat inzwischen sämtliches Maß verloren und alle Grenzen der Menschlichkeit niedergerissen, dass selbst viele ihrer Vertreter es nicht mehr mittragen können. Das Massaker von heute ist die Freiheit von Morgen, ob es den Ungerechten passt oder nicht. Und was wird das für ein Freudenschrei in aller Welt sein, wenn die Erlösung naht? Juden, Christen und Muslime warten darauf. Lasst uns Hand in Hand warten und gemeinsam im Gebet auf der Seite der Entrechteten dieser Welt stehen, damit wir uns vorbereiten auf die bevorstehende Freude. Und lassen wir uns nicht entmutigen von mörderischen Schreibern, die auf der Seite der Unterdrücker stehen und Mord und Massaker befürworten; sie tun es, weil sie jegliche Hoffnung verloren haben! Unsere Hoffnung aber ist unerschütterlich, den sie gründet auf einer Macht, die mächtiger ist als alle Unterdrücker der Welt!
Das Erzittern und Beben von Wahrheit im Herzen eines jeden Menschen ist möglich. Lasst uns diese Schönheit immer wieder aufs Neue genießen!