Eigentlich gehört die Rede des Propheten Muhammad am Brunnen von Chum (Ghadir Chum) zu den größten Ereignissen des Islam, aber es gibt Gründe dafür, warum jenes Ereignis verschwiegen wurde.
Ghadir Chum ist ist ein Ort auf ca. halber Strecke zwischen Mekka und Medina. Der Name bedeutet "Brunnen von Chum". Als Prophet Muhammad (s.) diesen Ort am 18. Dhul-Hidscha 10 n.d.H., also heute vor 1419 Mondjahren nach islamischer Zeitrechnung, auf der Rückkehr von seiner letzten Pilgerfahrt [hadsch] passierte, wurde folgender Vers aus dem Heiliger Qur'an offenbart:
"Oh du Gesandter! Lass gereifen das, was zu dir von deinem Herrn hinabgesandt wurde; und wenn du es nicht tust, so hast du seine Botschaft nicht gereifen lassen. Und Allah wird dich vor den Menschen schützen." (5:67).
Die gewaltige Bedeutung dieses Verses ist noch immer nicht bei allen Muslimen hinreichend bekannt. Der Islam war damals seit 20 Jahren vorgelebt, der Heilige Qur’an so gut wie abgeschlossen, nur noch wenige Verse fehlten, Hunderttausende waren Muslim geworden. Und all dass sollte mehr oder weniger nichts wert sein, wenn Prophet Muhammad eine bestimmte Botschaft nicht herüberbringt, verkündet, gereifen lässt? Und jene Botschaft musste zudem so “gefährlich“ sein, dass Allah den Propheten zudem schützen müsste, nach all den Jahren und so vielen Gefährten? Was war das für eine gefährliche Botschaft? Was war das für eine Botschaft, dass der ganze Islam daran hängen sollte? Warum kam dieser Vers so spät?
Auf die Verkündung dieses Verses legte Gottes Gesandter (s.) eine Rast ein, um eine Ankündigung für die heimkehrenden Pilger zu machen, die ihn von Mekka begleitet hatten und die sich von dieser Kreuzung aus zerstreuen würden, um an ihre Bestimmungsorte zu gelangen. Auf Hinweis von Prophet Muhammad (s.) wurde für ihn eine Kanzel aus Ästen errichtet. Er ließ diejenigen, die vorausgeeilt waren, zurückrufen und wartete auf diejenigen, die nachkamen, so dass am Ende ca. 100.000 Muslime anwesend waren. Nach dem Mittagsgebet setzte sich Prophet Muhammad (s.) auf die Kanzel und hielt seine letzte öffentliche Rede vor größerer Versammlung vor seinem Ableben (drei Monate später).
Der Höhepunkt seiner Predigt war, als er Imam Ali (a.) an die Hand nahm und seine Anhänger fragte, ob er die höchste Autorität [mawla] über sie hätte. Die Menge antwortete: "So ist es, oh Gesandter Allahs". Er verkündete dann: "Derjenige, dessen Herr [maula] ich bin, von dem ist auch Ali sein Herr [maula]. Oh Gott, sei der Freund dessen, der ihn zum Freund hat und sei der Feind dessen, der ihn zum Feind hat." Dabei hob er die Hand Imam Alis hoch.
Unmittelbar nach dem Ende der Rede wurde Prophet Muhammad (s.) folgender Vers aus dem Heiliger Qur'an offenbart: „Heute habe ich eure Religion vervollkommnet und meine Gnade an euch erfüllt, und ich war zufrieden das Islam eure Religion sein wird.“ (Heiliger Qur'an 5:3)
Nach der Verkündung bat der Prophet Muhammad (s.) jeden Muslim, Imam Ali (a.) den Treueid zu schwören und ihm zu gratulieren. Unter denen, die Folge leisteten, war auch Umar ibn Chatab, der sagte: "Gratuliere Sohn von Abu Talib, heute bist du der Herr aller gläubigen Männer und Frauen geworden."
Dieses Ereingis wird übereinstimmen von allen Rechtsschulen bestätigt, auch von den sunnitischen Gelehrten, auch in der jüngeren Geschichte, wie z.B. von Salim al-Bischri (dem ehemaligen Rektor der Al-Azhar-Universität) in der Konsultation (Al-Muradschaat). Es ist nicht, wie fälschlicherweise oft behauptet wird, ein "schiitisches" Ereignis. Die Anzahl der sunnitischen Quellen, die dieses Ereignis überliefern, sowohl im Detail als auch als Zusammenfassung, ist sehr groß (z.B. alHakim alNaysaburi, Tirmidhi, Ibn Madscha, al-Suyuti, Ibn Kathir, Ahmad ibn Hanbal u.v.a.m.). Dieses historische Ereignis wurde von 110 Gefährten des Prophet Muhammad (s.), 84 Gefährtennachfolger und mehreren hundert Gelehrten der islamischen Welt überliefert. Gemäß mancher Überlieferung empfing Prophet Muhammad (s.) den Treueid zu dieser Verkündigung zum Nouruz, was darauf hindeutet, dass er drei Tage an dem Ort blieb.
Obwohl eine große Anzahl der sunnitischen Gelehrten aller Epochen und Denkrichtungen diese Begebenheit und die historischen Worte des Prophet Muhammad (s.) bestätigt haben, haben sie es schwer, es in Einklang zu bringen mit dem, was nach dem Ableben des Prophet Muhammad (s.) geschah, denn nicht Imam Ali wurde erster Kalif. Der wichtige Aspekt der Meinungsverschiedenheit baut auf der Bedeutung des Begriffs "Maula" bzw. "Wali" auf. Viele sunnitische Gelehrte behaupten, dass der Prophet Muhammad (s.) bei dem Ereignis Imam Ali (a.) lediglich als "Freund" und "Helfer" der Muslime vorstellen wollte.
Die Offenbarung verschiedener Vers aus dem Heiliger Qur'an, die große Versammlung, die letzten Abschnitte des Lebens des Prophet Muhammad (s.), werden von Schiiten als ultimative Widerholung dessen verstanden, worauf Prophet Muhammad (s.) bereits einige Male hingewiesen hatte, nämlich die Bestimmung seiner Nachfolge als höchste Autorität. So wird es von Muslimen der schiitischen Glaubensrichtung bezeugt und geglaubt. Daher ist der 18. Dhul-Hidscha bei Schiiten ein großer Feiertag und das Fest von Ghadir [id-ul-Ghadir] wird gefeiert. Im Iran ist es ein gesetzlicher Feiertag. Hingegen begrenzen sunnitische Gelehrte die Rolle Imam Alis (a.) auf eine "Freundschaft". Alle Unterschiede zwischen den Hauptzweigen des Islam sind letztendlich auf diesen Unterschied im Verständnis auf Imam Alis (a.) Rolle zurückzuführen.
Doch das Ereignis von Ghadir ist ein universelles Ereignis, das z.Z. Adams begann und mit dem Erscheinen des erwarteten Erlösers seinen Höhepunkt erlangen wird. Denn es war Gott, der Seinen Propheten anhielt, seinen Nachfolger zu bestimmen, wie es immer in der Geschichte so war. Die gleichen späteren Kalifen, die jene Bestimmung durch den Propheten ablehnten, hatten selber weniger Scheu, ihren eigenen Nachfolger namentlich zu bestimmen. Die Argumente, die zur Ablehnung Imam Alis als Nachfolger führten, nachdem der Prophet (s.) gestorben war, waren jene Argumente, die stets die Menschheit in der Sklaverei der Gewaltherrschaft gefangen gehalten haben.
Ein Argument war „Er ist nicht von uns“. Als sich nach dem Ableben des Propheten Muhammad eine Reihe von Muslime in dem Ort Sakifa trafen, um die Nachfolgeregelung unter sich auszumachen, war es für die medinensischen Helfer (Ansar) klar, dass der Nachfolger von ihnen sein müsse. Nur die Streitigkeit zwischen zwei Stämmen der Ansar führte dazu, dass man sich nicht einigen konnte. Als dann einige Auswanderer (Muhadschirun) hinzukamen, war wiederum das Argument, er müsse von uns sein. Kein einziges Argument fiel in dem Sinn, dass Maßstäbe der Wahrhaftigkeit eine Rolle gespielt hätten. Schließlich einigte man sich auf Abu Bakr. Imam Ali (a.) und viele seiner Anhänger waren nicht anwesend. Denn schließlich war Imam Ali (a.) damit beschäftigt, den Leichnam des Propheten zu waschen, das Totengebet zu sprechen und ihn zu bestatten, wie es stets die Nachfolger eines Propheten taten!
Ein weiteres Argument der Zeit war: „Er ist zu radikal“. Die Gemeinschaft bräuchte eine politisch geeignete Führung, und Imam Ali würde kompromisslos die Wahrheit durchsetzen. Das sei aber angesichts der vielen Interessen nicht möglich. Politik widerspräche Wahrheit; ist das nicht eine Denkweise, die bis heute anhält?
Einweiteres Argument war: „Er ist zu jung und unerfahren“. Das gleiche Argument haben einige Verwendet, als der Prophet noch zu Lebzeiten sie unter das Kommando von Usama ibn Zaid stellte und ihnen den Befehl gab auszurücken. Es waren u.a. Abu Bakr (der spätere erste Kalif) und Umar ibn Chattab (der spätere zweite Kalif), die vom Propheten Muhammad (s.) höchstpersönlich unter den Befehl des noch sehr jungen Usama ibn Zaid gestellt wurde. Sie weigerten sich, mit ihm auszurücken und Medina zu verlassen. Nach dem Ableben des Propheten (s.) hingegen übernahm Abu Bakr das Kommando über Usama ibn Zaid, unter dessen Kommando er noch kurz vorher stehen sollte, und befehligte ihn, auszurücken gegen den Angriff der Byzantiner aus dem Norden.
Doch sind jene Argumente nicht heute noch Gift in den Reihen der Muslime (unabhängig davon, ob Sunniten oder Schiiten)? Wie kommt es, dass Türken grundsätzlich immer nur Türken als große Gelehrte kennen, Araber immer nur Araber, Indonesier immer nur Indonesier usw. (Ausnahmen bestätigen die Regel). Dass das nicht allein sprachliche Gründe hat, kann man leicht an den Arabern erkennen. Denn unter Arabern ist die Sache sogar noch komplizierter: Iraker haben fast immer einen Iraker zum Vorbild, Libanesen fast immer einen Libanesen usw.
Wer hat uns in dieses koloniale Gefängnis des Nationaldenkens gesteckt? Warum können wir uns auch heute noch nicht hinreichend von dieser neuen Form des „Stammesdenkens“ befreien! Warum haben wir bis heute nicht die Bedeutung unserer gemeinsamen Abstammung von Adam und Eva auch politisch verinnerlicht? Wenn sich zwei Türken treffen, ist die erste Frage, die sie sich nach dem Namensaustausch stellen, aus welcher Gegend der Türkei die Ahnen kommen, um dann möglichst eine “Stammesnähe“ feststellen zu können (oder auch nicht). Wann hat Prophet Muhammad uns gelehrt, dass derjenigen, der aus dem gleichen Dorf kommt, uns näher sein soll, nur weil er aus dem gleichen Dorf kommt, unabhängig von seinem Glauben, seiner Gottesehrfurcht, seiner Liebe zur Wahrheit, seinem Lebenswandel usw.? Warum lassen wir es zu, dass die Gedanken der teuflischen Spaltung unsere Stärke der göttlichen Einheit derart unterwandert?
Ghadir Chum steht für ein Ereignis, dass Gott der Menschheit klar macht, dass zwar das Prophetentum ein Ende hat, nicht aber die göttliche Leitung der Menschen durch Menschen. Sie währt bis zum Jüngsten Tag. Und so warten Muslime heute auf den Erlöser (wie es Christen auch tun). Diejenigen, die die Ereignisse von Ghadir Chumm kennen, wissen, dass der Erlöser ein Urenkel in zehnter Generation von Imam Ali (a.) und elfter Generation von Prophet Muhammad (s.) sein wird, der Mahdi, der heute in der Verborgenheit wirkt und – so Gott will – bald erscheinen wird, worum so viele Muslime beten! Ihm wird man allerdings nicht vorwerfen können, dass er zu jung sei, denn er ist inzwischen 1140 Sonnenjahre alt. Wer es glaubt, wird selig; wirklich!