Wenn der achte Sinn der Gesellschaft im Advent gestört ist
Wir leben in einer Zeit, in der jeglicher Maßstab außer Rand und Band gerät und jeglicher Gleichgewichtssinn verloren erscheint. Ohne Gleichgewichtssinn wird man stürzen und kann dann auch nicht wieder aufstehen.
Klassischerweise werden fünf Sinne aufgezählt die bereits von Aristoteles beschrieben wurden; Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Die moderne Physiologie kennt für den Menschen vier weitere Sinne; Temperatursinn, Schmerzempfindung, Gleichgewichtssinn und Körperempfindung (oder Tiefensensibilität). Der Gleichgewichtssinn dient dem Menschen zur Feststellung der Körperhaltung und Orientierung im Raum. Ist er gestört, kann sich der Mensch nicht mehr sicher bewegen und fällt zu Boden.
Die Sinne des einzelnen Menschen sind ein spezifisches Element der Gesamtgesellschaft und Spiegelbild eines Gesamtempfindens. Derzeit aber ist dieses Empfinden sehr stark gestört. Es wird mit Geldmengen geradezu herumgeworfen, die jegliche Vorstellungskraft übertreffen. Regierunge, die gestern noch für das Gesundheitssystem und das Schulsystem kein Geld übrig hatten, haben jetzt 1000 Milliarden und noch mehr über für das Wirtschaftssystem. Eine Gruppe von zwei Millionen Menschen werden im größten Freiluftlager unserer Zeit in kaum vorstellbarer Weise schikaniert, wenige Hundert “Siedler“ terrorisieren eine Stadt von hunderttausend Menschen und die Vertreter jenes Unrechtssystems treten bei irgendwelchen Menschrechtsveranstaltungen als Redner auf. Die zwei größten Verbrecher unserer Zeit, die für den Tod von über einer Million Zivilisten die Hauptverantwortung tragen, laufen nicht nur frei herum, sondern leben in Saus und Braus. Das Land, dass in einer bestimmten Region über die mit Abstand schlimmsten Waffen verfügt, einige Hundert Atomwaffen bereit hält und auf Streubomben nicht verzichten will, beschuldigt ein anderes Land, dass es eines Tages Atomwaffen haben könnte, und die gesamte Westliche Welt droht jenes unschuldige Land. Die Medien werden überschwemmt von Pornographie, die Gesellschaft überaltert, die Familien werden aufgelöst, der Wachstumswahn treibt Energiewirtschaft und Pharmaindustrie in unheilvolle Absichten usw. usw.. Man kann schauen, wohin man will, das Gleichgewicht ist gestört, wenn nicht gar zerstört!
Die Auswirkungen dieser Gleichgewichtsstörung bekommen wir zu spüren in der Naturzerstörung, in der Umweltzerstörung, in den Fleischbergen, den Tomatenbergen, den Milchbergen, der unvorstellbaren Verschwendung der Satten und unvorstellbaren Armut der Hungernden in der Welt. Überall werden Reiche immer Reicher und Arme immer Ärmer. Und obwohl es fast jedem auffällt, tut fast niemand etwas dagegen.
Es ist nicht so leicht, einen bereits zerstörten Gleichgewichtssinn wieder herzustellen, aber es ist möglich. Der Wunsch nach Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit ist nach wie vor vorhanden. Dieser Wunsch ist nur in einem System zu realisieren, in dem die Maßstäbe wieder zu Recht gerückt werden. Die Vorweihnachtszeit gibt hinreichend Gelegenheit, um darüber nachzudenken und sich zu besinnen, wenn man nicht vom Konsumwahn gefangen wird. Das Gedenken an Jesu Geburt könnten die Christen in diesem Land dazu nutzen, daran zu denken, dass ihr Messias eines Tages wieder erwartet wird. Und diese Hoffnung sollte in jedes Haus im Land Einzug halten, mehr als Weihnachtsbäume und Weihnachtsmänner.
In der Besinnung und im Nachdenken liegt die Kraft, sich und sein leben zu ändern. Und die Vielzahl der sich ändernden Leben wird die Gesellschaft formen.
In den abrahamitischen Religionen ist immer wieder von drei bedeutsamen Aspekten des Daseins die Rede: Glaube, Hoffnung, Liebe. So gilt beispielsweise Hoffnungslosigkeit als größte Sünde im Islam. Der Glaube beinhaltet die Hoffnung auf Ewigkeit und die Hoffnung ist ausgerichtet auf die Liebe. Sehr schön wird das im er ersten Brief des Paulus an die Korinther, im berühmten Hohelied der Liebe beschrieben (Kor. 13.Kap.): „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles. Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird.“ Und am Ende heißt es: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“
Ähnlich steht es an mehreren Stellen im Heiligen Qur´an. Die etwas knappere aber dafür mit einer immensen Bedeutung ausgestatte Stelle ist in der 19. Sure der 96 Vers: „Diejenigen, die da glauben und gute Werke tun - ihnen wird der Gnadenreiche Liebe bereiten.“ Es ist sicherlich kein Zufall, dass jener Vers in der Sure steht, die der Heiligen Maria gewidmet ist. Dabei ist zu beachten, dass es im Arabischen eine ganze Reihe von Begriffen für „Liebe“ gibt. Der gängigste Begriff ist „hub“. Er wird hier aber nicht verwendet. Vielmehr steht hier der Begriff „wud“, welches die aller stärkste und höchste Form der selbstlosen Liebe beschreibt, wie sie nur von Gott zu dem Menschen gegeben werden kann. Und es wird eben deutlich, dass jene Liebe nicht etwa von uns stammt sondern von Gott.
Wie sehr diese Sehnsucht in den Herzen der Anhänger aller Religionen existiert kann man an heiligen Orten erkennen. Man braucht nur die Orte Lourdes in Frankreich oder den Ort mit dem Heiligen Namen Fatima in Portugal zu besuchen, um zu erkennen, welch ein großer Bedarf für solche Orte existiert. Die Menschen laufen die letzten hundert Meter zur Gedenkstätte der Heiligen Maria (a.) teilweise auf ihren Knien bis sie blutig werden. Und sie sehnen sich so sehr nach Heiligkeiten, die ihnen kaum vergönnt sind.
Jetzt aber ist eine Zeit der Heiligkeit in der christlichen Welt. Und es ist mit die Aufgabe der Muslime, die Heiligkeit hervorzuheben, denn die Heiligkeit führt zu Gott. Und diesen Weg könne zumindest bis zu einem bestimmten Grad Christen und Muslime gemeinsam gehen; auch zu Weihnachten.
Ich wünsche im Namen aller Mitarbeiter des Muslim-Markt unseren christlichen Leser eine besinnliche Adventszeit.