Die Ähnlichkeit ist gewollt, sie lehnt sich an den weltberühmten Aufruf Karl Marx` aus dem „Kommunistische Manifest“ (1848) an: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“
Ein Aufruf meinerseits an die Umma, sich zu vereinigen, wäre ein Schuss in den Ofen, da „Umma“ der Name für die vereinten Muslime ist. Eine Einheit, die leider nur in der Theorie existiert.
Die Realität sieht ganz anders aus. Muslime in aller Welt sind gespalten in Länder, Nationen, Parteien, Rechtsschulen, Sekten, Gruppierungen, Vereinen u.a. Das von einer Einheit nicht die Rede sein kann, zeigt auch ihre Situation in aller Herren Länder, sie werden unterdrückt, bekriegt, ihre Länder werden besetzt, ihre Ressourcen ausgebeutet, ihre Rechte beschnitten, und als ob das nicht genug sei, sind sie zum globalen Feindbild ernannt, erkoren, erklärt. Ihren Werten wird kein Respekt gezollt, ihre Träger werden gedemütigt und wie Bürger zweiter Klasse behandelt.
Eine „Umma“, deren Mitglieder über 1,5 Milliarden zählen, würde sich das nicht gefallen lassen. Eine „Umma“, die einheitlich agiert, wäre nicht Opfer, sondern „Täter“, im Sinne von Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, Souveränität und Unabhängigkeit.
Was ist die Ursache?
Zweifelsohne können wir die Ursache nicht auf einen Nenner reduzieren, doch um einen Beginn zu wagen, einen Ansatz zu tragen:
ein Hauptnenner ist die Entfremdung! Zu was? Zum Sinn ihrer/unserer Handlungen!
Die Entfremdung zum Sinn unserer Handlungen, die sich im oberflächlichen Umgang mit dem Islam zeigt. Auf die Frage, was uns das Wichtigste in unserem Leben ist, die wichtigste Person, die wichtigste Sache, antworten wir in folgender Reihenfolge: „Allah, Allahs Gesandter Muhammed (F. u. S.), der Islam.“ Ist diese Behauptung in uns, unserem Alltag und unseren Taten nachweisbar?
Gehen wir folgende Ebenen durch:
1. Das Wissen
Wie gut kennen wir Allah? Was will Er? Was erwartet uns wann? Um zu behaupten, dass man ihn gut kennt, müsste man den Qur`an gut kennen. Da taucht schon das erste Problem auf. Denn ist unsere Beschäftigung mit dem Qur`an nicht auf das Rezitieren beschränkt? Während das Rezitieren mittlerweile zu einer Kunst aufgestiegen ist, ist das Rezitieren desselben auf möglichst hohe Wiederholungsraten ausgerichtet. Fragen wir uns ernsthaft: Was ist der Qur`an und welchen Sinn/Zweck verfolgt er?
Welche Absicht er (Qur`an) verfolgt, soll Allah uns selbst mitteilen: Sad (3 29: „Der Koran ist ein segensreiches Buch, das Wir dir herabgesandt haben und über dessen Verse sie nachdenken müssen. Alle Menschen mit Verstand sollen sich durch ihn ermahnen lassen.“ Er ist das Wort/die Botschaft Allahs und will verstanden und umgesetzt werden. Doch wieviel verstehen wir davon, wieviel Mühe nehmen wir auf uns, um ihn zu verstehen, wieviel Zeit erübrigen wir dafür? Wie ist die Antwort ausgefallen? Also kann man getrost sagen, dass unsere gewönliche Umgangsweise den Sinn seiner Sendung wohl verfehlt.
(Bitte, um Missverständnissen vorzubeugen, ich lehne diese nicht ab, möchte jedoch darauf hinweisen, dass sowohl Rezitation als auch die Wiederholrate/Frequenz Mittel sind, die dem Ziel „Verstehen und Realisieren“ dienen und ihm untergeordnet sind. In diesem Sinn sind sie ganz und gar unverzichtbar.)
2. Der Alltag
Was beschäftigt uns die meiste Zeit über? Welchen Themen widmen wir unsere Aufmerksamkeit, welchen Hobbys unsere Freizeit, welchen Möglichkeiten unser Potenzial? Welche und wessen Sorgen bekümmern uns und welche Ereignisse interessieren uns, erfreuen uns? Was sind unsere Prioritäten tatsächlich? Welchen Sinn verfolgen wir mit unseren Gottesdiensten, welche Funktion soll beispielsweise das Gebet/Salah erfüllen?
Lassen wir erneut Den Gebieter seinen Sinn bekunden: Spinne (29) 45: „Lies, was dir von der Schrift (als Offenbarung) eingegeben worden ist! Und verrichte das Gebet! Das Gebet verbietet (zu tun), was abscheulich und verwerflich ist. Und sich Allahs zu erinnern, ist gewiß das Höchste. Und Allah weiß, was ihr tut.“ Doch wie sieht es bei uns aus? Ehrliche Antwort? (Haben wir denn eine andere Wahl?) Unser Gebet ist zu einer rituellen Form verkommen, das zur gegebenen Zeit und in der entsprechenden Form verrichtet wird, ohne Inhalt, ohne Verständnis, ohne Seele und damit ohne Sinn. Dabei warnen uns diese Verse in Ma`un (107) 4-6: „Wehe denjenigen Betenden, die (den Sinn) ihres Gebets nicht achten, die (nur dabei) gesehen werden wollen..“ Wir zeigen Allah – (eudhubillah): „Hier schau, wie Du wünschst verrichte ich das Gebet, siehst du? Damit halte ich meinen Teil der Abmachung ein!“ Und in der Tat, es bleibt bei der Schau. Statt dass das Gebet und die in ihm rezitierten Verse uns an unsere Aufgabe, den Tod, die Abrechnung, die Belohnung/die Strafe, unsere Verantwortung Allah, uns selbst und unseren Mitmenschen gegenüber erinnert, führt das eben verrichtete Gebet eine selbsttrügerische Zufriedenheit herbei. Dann denken wir, dass wir unserer Pflicht genüge getan haben und wenden uns unbemerkt von Allah ab und der Welt und ihren Verführungen zu. Ist das der Sinn des Salahs/Gebets, dass Zufriedenheit uns beschleicht, und wir damit vergessen, wie nah uns in Wirklichkeit der Tod ist und damit einhergehend die Abrechnung für ein verantwortungsvolles bzw. –loses Leben. Lasst uns eiligst zur Besinnung kommen, liebe Geschwister.
Das Gebet ist eine Motivation, Vollgas zu geben in der Hingabe zu Allah, eine Erinnerung, was schleunigst getan werden muss, was unterlassen werden soll, eine Medizin, die unser Bewusstsein am Leben und unsere Verantwortung aufrecht erhält, ein Wecker, der unser Gedächtnis auffrischt und Vergessenheit vorbeugt, ein Gefährt, das uns auf dem rechten Weg hält, um die Zeit zwischen den zwei Gebeten sinnvoll und sinngemäß zu nutzen, nicht nur wichtig, es ist überlebenswichtig. Denn letztgenannte Verse ermahnen uns, dass das Gebet nicht ausreicht, wenn er uns nicht zu einem edlen Charakter und guten Taten leitet. Schließlich enden die Verse mit einer mit dem Gebet nicht zu vereinbarenden Haltung: „..und die Hilfeleistung verweigern!“
3. Die Orientierung
„Der mir liebste und teuerste Mensch ist zweifellos Allahs Gesandter Muhammed (F. u. S.)!“ So oder ähnlich klingen die Liebesbekundungen. Als Beweis dieser Liebe folgt dann der Ausspruch voller Inbrunst und Ehrerbietung: „Allahumma salli ala Muhammed!“ o.ä. Und danach… …. …. Und danach kommt leider nicht mehr viel. Ein Lippenbekenntnis? Mehr nicht?... Ich fürchte, ja. Fangen wir von vorne an. Welche Funktion erfüllt (Achtung! Zeitform:Präsens!) der Prophet, welchem Sinn dient er? Allahs Worte klären uns sofort auf: Die Verbündeten (33) 21: „Im Gesandten Allahs habt ihr doch ein schönes Beispiel/Vorbild –für alle, die auf Allah hoffen und sich auf den jüngsten Tag gefaßt machen und unablässig Allahs gedenken.“ Es ist eindeutig: Er ist nicht ein Vorbild, er ist Das Vorbild!
Lippenbekenntnisse ade, Taten müssen her.
Im Klartext, wir müssen seine Vorbildlichkeit wiederholen. Das ist aber erst möglich, wenn man ihn kennt. Damit wären wir wieder bei Punkt 1 angelangt.
Wir lesen Zeitung, Zeitschriften, Nachrichten im Internet, Bücher aller Art, aber wie viele von uns lesen seine Biographie? Und diejenigen, die ihn lesen? Stop! Nicht um des Lesens willen. Eine reine Absicht ist mehr als willkommen, aber eine hohle, leere, inhaltlose, seelenlose, ziellose, sinnlose Absicht fehl am Platze!
Wie viele von uns/der Umma, befassen sich mit seiner Biographie, seiner Lebensgeschichte
um ihn kennenzulernen? ihn zu verstehen? seine Beweggründe nachzuvollziehen? seine Denk- und Betrachtungsweise zu erlangen? so zu handeln, zu denken, zu reden, zu opfern, zu helfen, zu kämpfen, zu vergeben wie er? Allah zu dienen, wie er?
Wie sehr sind wir doch vom Ziel abgekommen! Wir haben aufgehört, den Sinn unserer Handlungen, Gottesdienste, unserer Lebensweise zu erörtern und zu hinterfragen. Aufgehört, überhaupt zu fragen. Reine Konsumenten sind wir geworden, die alles hinnehmen, was uns vorgelegt wird, selbst das Denken und Entscheiden haben wir anderen überlassen.
Wir haben uns festgebissen an den Formen, wir haben jeden Ansatz ritualisiert, den Sinn verdrängt, und das rächt sich. Unsere Jugend erstickt an Formen und Formalitäten. Alle, Muslime als auch Nicht-Muslime verzagen (verzweifeln), wenn ihnen fern von Sinn und Zweck Formen und Rituale als Antwort auf ihre dringlichsten Fragen dargeboten werden.
Wir werden erst eine Umma werden, wenn wir den Islam – seine Formen, Rituale, Inhalte und Ziele als Ganzes in ihrem Sinnzusammenhang begreifen.
Dazu müssen wir uns ernsthaft, aufrichtig und konsequent mit dem Islam auseinandersetzen.
Dann erst werden wir innere Zufriedenheit, Selbstbewußtsein, Ummabewußtsein erlangen, Glück sowohl im Diesseits als auch im Jenseits erfahren.
Wenn wir aber bei einer Handlung/Tat den Sinn nicht berücksichtigen, dann wird der gewünschte/beabsichtigte Effekt nicht eintreten. Damit wäre das Ziel verfehlt bzw. nicht erreicht und die Aktion gescheitert.