Die Problematik der Mondsichtung zum Monat Ramadan und Grüße dazu
Muslim-Markt, 1.9.2009 – Erstmalig in der Geschichte des Islam in Deutschland haben sich die großen Verbände zu einem gemeinsamen Beginn des Monats Ramadan geeinigt. So sehr diese Form der Einheit zu unterstützen ist, und so sehr die Einigung Lob verdient, so sehr wirft sie auch Fragen auf, die – so Gott will – in naher Zukunft vertieft werden können.
Der Koordinierungsrat der Muslime (KRM) hat auf Basis von Berechnungen den Beginn des Monats Ramadan in Deutschland auf den 1. September festgelegt. In der gemeinsamen Erklärung heißt es dazu: „In einer Arbeitsgruppe des KRM arbeiteten die Verbände in den letzten Monaten an einer gemeinsamen Grundlage für die Berechnung des Ramadankalenders. Hierbei folgten die im Koordinationsrat der Muslime in Deutschland KRM vertretenen Verbände der von der OIC, der Organisation der Islamischen Konferenz bereits im Jahre 1978 erarbeiteten Grundlage, dass der neue Monat nach der Geburt des Neumonds mit der berechneten möglichen frühesten Sichtung an jedem Ort der Welt beginnt. Die unterschiedlichen wissenschaftlichen Berechnungsmethoden der Verbände wurden zugunsten der Einheit der Muslime in Deutschland zurückgestellt bzw. harmonisiert.“ Die gesamte Erklärung ist nachlesbar unter: http://www.islam.de/10694.php
Erstmalig wurde hierbei eine Transparenz gewährleistet, die es Muslimen ermöglicht, die Vorgaben besser nachzuvollziehen. Und dafür ist der KRM zu loben und möge Gott sie für ihre guten Absichten belohnen! Es stellt sich aber die Frage, ob jenes Votum auch dann so einheitlich ausgefallen wäre, wenn das Ergebnis von der Feiertagsfestlegung in der Türkei abgewichen wäre.
Zu den Berechnungsgrundlagen kann man sich auf der Seite http://www.mondsichtung.de sehr ausführlich informieren. Dort heißt es u.a.:
Der geozentrische Neumond des Monats Ramaḍān tritt ein am Samstag, dem 30. August 2008 um 19:59 Uhr UT (d.h. um 21:59 MESZ). An diesem Tag kann die junge Mondsichel von keinem Punkt der Erde aus gesehen werden. Am darauf folgenden Sonntag, dem 31. August, kann die junge Mondsichel erstmals in Madagaskar, Afrika südlich des Äquators, Westafrika, im äußersten Süden der USA, sowie in Mittel- und Südamerika gesichtet werden, sofern das Wetter es jeweils zulässt. Ganz Asien, Arabien, Nordafrika, Europa und der größte Teil Nordamerikas liegen jedoch an diesem Tag noch außerhalb der Sichtbarkeitszone, … In Asien, Arabien, Nordafrika und Europa wird eine Sichtung der Mondsichel frühestens am Montagabend, dem 1. September möglich sein…. Unter Anwendung des Prinzips der "lokalen Sichtung“ und unter Betrachtung von Europa als einen zusammenhängenden Sichtungshorizont ergibt sich folgende Stellungnahme: Der Monat Ramaḍān 1429 n.H. beginnt in Europa mit Sonnenuntergang am Montagabend, dem 1. September 2008. Der erste Fastentag ist somit Dienstag, der 2. September 2008. … Unter Anwendung des Prinzips der "globalen Sichtung" könnte bei Vorliegen von zuverlässigen Sichtungsmeldungen aus dem südlichen Afrika bereits der 1. September als erster Fastentag angenommen werden [Ende des Zitats aus mondsichtung.de].
Hierbei wird also deutlich, dass eine auf “Berechnung der Sichtung“ basierende Grundlage zu einer “lokalen“ und zu einem “weltweiten“ Schlussfolgerung kommen kann. Die “lokalen“ Schlussfolgerung wäre ein Beginn frühestens am Dienstag, den 2.9.2008. Die “weltweite“ Schlussfolgerung wäre der Beginn am Montag 1.9.2008.
Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass beide Schlussfolgerungen auf der Berechnung der Sichtung aufbauen und eine tatsächliche Sichtung unberücksichtigt lassen. Jene tatsächliche Sichtung ist – erwartungsgemäß – auch in keiner für Muslime relevanten Region bisher erfolgt. Zahlreiche Muslime vertreten jedoch die Meinung, dass die Berechnungsmethode allein der Sunna des Propheten widerspreche; was allerdings ebenfalls durchaus diskussionswürdig ist.
Werfen wir einen Blick in die Geschichte. Es ist klar: Zur Zeit des Propheten Muhammad wurde die Mondsichtung durch “Sichter“ erwartet. Hatten einige Leute die junge Sichel gesichtet, wurde die Nachricht dem Propheten Muhammad (s.) überbracht, der dann den Beginn des Monats Ramadan verkündete (zumindest für die Stadt, in der er sich befand). In anderen Städten erfolgte es in ähnlicher Weise, allerdings dann mit dem Vertreter des Propheten. Die damals durchaus möglichen Berechnungen (wenn auch nicht so präzise) dienten lediglich dazu, die möglichen Sichtungstage bereiten. Die Sichtung selbst war allerdings der Maßstab. Und das Prinzip blieb auch in der Zeit der ersten vier Kalifen unverändert.
Spätere Kalifen (unabhängig davon wie islamisch oder unislamisch sie in ihrem Leben waren und welche Gewaltverbrechen sie praktiziert haben) gaben vor, Vertreter des Propheten zu sein und handelten in dieser Hinsicht unverändert über ein ganzes Jahrtausend hinweg; auch wenn die Mondberechnungsgrundlagen immer präziser wurden. Zwar gab es teilweise mehrere miteinander konkurrierende Kalifen gleichzeitig, aber bezüglich Mondsichtung gab es dennoch keine Konkurrenzsituation, da die Informationsverbreitung erheblich langsamer war, als die möglichen Unterschiede bei der Sichtung.
Die Aufgabe, welche bei Sunniten die Kalifen hinsichtlich Mondsichtung erfüllte, erfüllten bei Schiiten die jeweils obersten Gelehrten einer Region, die sich als Vertreter des 12. verborgenen Imams verstanden.
Die Situation änderte sich in der sunnitischen Welt mit der Abschaffung des Kalifats. Plötzlich gab es keine zentrale Instanz mehr die die “offizielle“ Sichtung verkünden konnte; und entsprechend gab es auch keine Vertreter in den Regionen. Mögliche Gelehrte an bekannten Hochschulen verloren im Laufe der Zeit zunehmend an Autorität unter den Gläubigen, da sie mit weniger islamisch geprägten Regierungen kooperierten bzw. von diesen sogar eingesetzt wurden.
Hinzu kam die immense Entwicklung im Kommunikationssektor. Eine Information an einem Ort der Welt kann heute binnen weniger Minuten in der ganzen Welt abgerufen werden. Als weiterer Faktor ist zu berücksichtigen, dass in dieser schnelllebigen Zeit das Bedürfnis bestand einen Feiertag idealerweise bereits mehr als ein Jahr vorher zu kennen (nicht nur um die Kalender drucken zu können). Angesichts dieser Ausgangslage hat sich bereits 1978 die OIC, der Organisation der Islamischen Konferenz, darauf verständigt, den ersten möglichen Sichtungsort der Neumondsichel als Berechnungsgrundlage und Maßstab festzulegen.
Die Hauptproblematik der OIC aber besteht darin, dass die dort vertretenden Regierungen zumeist in ihren eigenen Ländern den Islam bekämpfen und praktizierenden Muslimen viele Schwierigkeiten bereiten. Zudem plündern selbsternannte Könige und Prinzen (von denen es reichlich in der islamischen Welt gibt) die Reichtümer des Gemeinwohls und bekämpfen jeden, der behauptet, dass es im Islam nur einen König geben kann (nämlich Gott). Es liegt in der Natur der Sache, dass die Autorität einer solchen Organisation unter den praktizierenden Muslimen begrenzt ist. Kurioses Beispiel dafür ist wiederum die Türkei. Jener Staat, dessen Grundprinzip es ist, dass Staat und Religion zu trennen sind und in dem jeder verfolgt wird, wenn ihm auch nur gerüchteweise gegenteiliges beschieden ist, selbst wenn er der amtierende Staatspräsident ist, jener Staat legt selbst den religiösen Feiertag fest.
Schiiten haben sich weniger in jene “staatlichen“ Irrungen begeben, da sie sich stets an den “gerechten“ religiösen Gelehrten gehalten haben. Sie können aber, was Kuriosität angeht, durchaus mithalten! So folgen heute noch Schiiten der jeweiligen Erläuterung ihres religiösen Oberhauptes, der auch innerhalb eines Landes sehr unterschiedlich sein kann. So ist es in den letzten Jahren durchaus einige Male passiert, dass Schiiten im Iran oder Irak an unterschiedlichen Tagen angefangen haben zu fasten als ihre Straßennachbarn, die einem anderen Gelehrten folgen. Letztes Jahr gab es zudem die Kuriosität, dass selbst die Anhänger des gleichen Gelehrten in eine gewissen Verwirrung geraten sind, weil z.B. dessen Vertreter in Österreich zu einem andere Schluss kam, als der Vertreter in Deutschland, obwohl es astronomisch (auch rechnerisch) keinen Unterschied zwischen beiden Ländern geben konnte.
Obiger Abriss soll verdeutlichen, dass die Problematik des Monatsbeginns sehr komplex ist und eine gewisse Einheit unter den Muslimen besteht; eine bedauernswerte Einheit der Verwirrung, unabhängig von ihrer Rechtsschule.
Der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland hat jetzt einen Weg beschritten, um diese Verwirrung zumindest für Deutschland zu beenden, und hat einen berechneten Tag auf Basis der globalen Sichtung festgelegt. Aber bereits heute kann festgestellt werden, dass nicht alle dem Koordinierungsrat angeschlossenen Vereine sich daran gehalten haben. Das liegt allerdings nicht daran, dass jene Vereine die Einheit sabotieren wollen, sondern weil sie zu dem religiösen Schluss kommen, dass die vom KRM praktizierte Methode nicht mit dem Islam vereinbar ist (zumindest nach deren Verständnis).
Welche Lösungsmöglichkeit aber gibt es, um aus diesem Dilemma herauszukommen? Tatsache ist, dass es ohne religiöses Oberhaupt, ohne gemeinsame Struktur der Muslime, in Detailfragen keine Einheit in allen Aspekten gaben kann. Aber muss es sie denn geben? Ist nicht eine Gemeinsamkeit und Einheit bei gegenseitigem Respekt möglich? Der Unterschied des Fastenbeginns wird schließlich nur wenige Tage ausmachen und die allermeiste Zeit wird man zusammen fasten.
Es ist kein Geheimnis, dass der Muslim-Markt die Idee verfolgt, dass eine Einheit nur mit einheitlichem Imam möglich ist, und dass diejenigen, die dem Vertrauen schenken, an dem Tag anfangen zu fasten, wenn der Imam anfängt und dann aufhören zu fasten, wenn er aufhört. Dabei spielt es keine Rolle, ob jener Beginn auf Berechnung, Sichtung oder sonst einer uns nicht bekannten Methode erfolgt. Das Vertrauen in das religiöse Oberhaupt gründet schließlich nicht in Detailfragen, deren sämtliche Details ohnehin nicht jeder verfolgen kann. Bedeutet das aber, dass man daher die Einheit “stört“? Ganz im Gegenteil hat der Muslim-Markt allen denen, die nachgefragt haben, empfohlen, bereits am Sonntag mit einem freiwilligen Fasten zu beginnen (und dieses selbstverständlich am Montag fortzusetzen). Die Abänderung der Fastenabsicht von einem freiwilligen Fasten zu einem Pflichtfasten aufgrund neuer vorliegender Informationen ist schließlich ein Leichtes.
Ein wichtiger Fragenkomplex sollte allerdings abschließend nicht unberücksichtigt bleiben: Warum ist der Mond “zuständig“ für jenen so bedeutsamen Monat? Was hat es auf sich mit der Tatsache, dass die Sonnen den Propheten (s.) symbolisiert und der Mond das Licht der Sonne widerspiegelt, wenn es Nachts ist und die Sonne nicht erreichbar? Was bedeutet es, dass wir über den Mond das Sonnenlicht erhalten? Wie ist in diesem Zusammenhang die islamische Auffassung zu verstehen, dass der Mond Imam Ali (a.) symbolisiert und dieser dadurch stellvertretend die Ahl-ul-Bait? Was bedeutet es, wenn die Ahl-ul-Bait beim Neumond “verschwinden“ und wir in der Sichtung der ersten Neumondsichel sehnsüchtig die Wiederkehr erwarten?
In einer von materiellen Ansichten dominierten Welt, stehen die rein materiellen Berechnung oder Sichtung im Vordergrund, ohne nach dem spirituellen Hintergrund zu fragen. Es ist aber die Spiritualität, die den Inhalt ausmacht.
Fasten bedeutet – wenn man es richtig praktiziert - in vielerlei Hinsicht eine Einschränkung! Es bedeutet ein bewusstes Hungern und Trennen von den weltlichen Bedürfnissen, um die seelischen Bedürfnisse zu befriedigen und den Frieden im Herzen und in der Welt anzustreben. Alle jene, die auf den erwarteten Erlöser warten, sollten wissen, dass er mit seinem Erscheinen viele Einschränkungen von uns abverlangen wird! Auch darauf bereiten wir uns in diesem Monat vor. Möge er bald erscheinen!
Der Muslim-Markt wünscht allen Geschwistern im Islam, allen Muslimen aller islamischer Rechtschulen und aller Beginntage einen gesegneten Monat Ramadan in der Läuterung unserer aller Herzen hin zu dem Frieden, den wir alle gemeinsam anstreben. Gleichzeitig wünschen wir unseren nichtmuslimischen Lesern, das auch sie diese besonderen Einladung des besonderen Monats Gottes annehmen, z.B. durch die Teilnahme an einem abendlichen Fastenbrechen bei ihren muslimischen Nachbarn, die sie sicherlich gerne einladen werden!