Muslim-Markt, 13.8.2008 - Immer mehr Staaten der Welt haben ihre Politik zeitgemäß entwickelt und ihre Vertreter meinen tatsächlich das, was sie sagen. Nur der Westen kommt damit nicht klar, da er auf veralteten verkrusteten Strukturen aufbaut.
Die jüngeren Leser werden den Begriff WYSIWYG gar nicht kennen. Er stammt aus einer Zeit, in der es noch Rechner gab, die "286er" hießen und ein Schreibprogramm besaßen, dass alles mögliche anzeigte, nur nicht das, was am Ende auf dem Drucker herauskam. Es war dann eine richtige "Revolution", als endlich nach und nach die Programme auf WYSIWYG erweitert wurden. Das Akronym steht für das Prinzip: "What You See Is What You Get" bzw. "Was du (auf dem Bildschirm) siehst, ist was du (auf dem Drucker) bekommst.".
Seit dem zweiten Weltkrieg hat sich in der europäischen Politik ein Begriff etabliert, der "Diplomatie" heißt. Der Begriff selbst ist zwar schon sehr alt und kommt z.B. in "Kanonbootdiplomatie" vor, aber sie war nie so heuchlerisch, wie heute. "Diplomatie" stand nicht etwa für Höflichkeit, Taktgefühl, Kulturkompetenz, Dialogbereitschaft oder ähnliche die zwischenstaatlichen Beziehungen fördernden Eigenschaften und Charakterzüge einer vernünftigen Politik. Vielmehr stand und steht "Diplomatie" in der Westlichen Welt für eine Art "List" im Umgang mit dem Gegenüber. Es wird ihm etwas anderes gezeigt, als wirklich gemeint wird.
Jüngstes Beispiel dafür ist der Krieg gegen Ossetien und Abchasien. Da faselte die westliche Welt Jahrzehntelang vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, aber das war gar nicht gemeint. Gemeint war, dass jedes Volk das Recht hat, sich der Westlichen Welt anzuschließen und der Westen das Recht hat, jeden Staat zu zerschlagen, damit Teile daraus sich dem Westen anschließen. Das ehemalige Jugoslawien ist das Paradebeispiel dafür. Aber auch Georgien fällt genau in jene Kategorie! Der "Freiheitsdrang" der Georgier, weg von der damaligen UDSSR, wurde gerne unterstützt. Will aber ein Teil jenes Georgien sich wiederum von Georgien "befreien", gilt jenes Trugbild, jene Scheindarstellung eben nicht mehr! Freiheitswillige, die in den Westen wollen, sind "Unabhängigkeitbewegungen". Freiheitswillige, die weg vom Westen wollen, sind "Separatisten".
Allerdings arbeitet Russland schon seit einiger Zeit nicht mehr nur mit dem Westen und verfügt daher über WYSIWYG. Sie behaupten nicht nur das, was sie erfüllen, sondern durchschauen auch die Westlichen Pokergesichter! Als Ergebnis der Georgischen Aggression sind ca. 1000 Menschen ermordet und 100.000 auf der Flucht. Und interessanterweise gibt es keinen Verantwortlichen für so viel Gräuel an der Menschlichkeit! Der Hauptverbrecher, der das Ganze mit Zustimmung der USA angezettelt hat, wie man inzwischen weiß, ist immer noch derjenige, den die westliche Welt unterstützt. Wäre er nicht "prowestlich", wäre er jetzt ein Menschenrechtsverbrecher, Kriegstreiber und müsste dafür bestraft werden. "Pro-Westliche" Menschenrechtsverbrecher, Kriegstreiber werden aber unterstützt. Das Trugbild der westlichen Propaganda ist inzwischen derart veraltet, derart marode und derart hinfällig, dass man es auch ohne WYSIWYG durchschaut.
Da wurde angeblich Jahre lang nach Karadzic gefahndet. Heute behauptet keine geringere als die Sprecherin der ehemaligen UNO-Chefanklägerin Carla del Ponte, dass der frühere US-Präsident Bill Clinton und sein damaliger französischer Amtskollege Jacques Chirac die Verhaftung verhindert haben. Hatte jemand, der die Propagandadarstellung der westlichen Welt kennt, etwas anders vermutet? Das kann doch nur jemand vermuten, der noch immer nicht über WYSIWYG-Systeme verfügt.
So hat Russland z.B. inzwischen angekündigt, dass Südossetien nicht mehr zu Georgien zurückkehren wird! Die Westliche Welt glaubt, das seien diplomatische Drohgebärden. Aber nein, die meinen es wirklich so! Sie arbeiten schon lange nicht mehr mit veralteten Systemen. Und der Westen hat Abchasien und Südossetien endgültig verloren! Zumindest dafür könnten sie ihren Kriegstreiber bestrafen, wenn schon seine Verbrechen keine Rolle spielen.
Anders Beispiel: Iran hat immer wieder betont, dass es keine Umkehr bei der Schließung der Urankreislaufs für friedliche Zwecke geben wird. Gleichzeitig hat Iran klar gelegt, dass sie keine Atomwaffen anstreben. Beides hat die Westliche Welt abgetan und "gepokert". Sie haben sogar sehr hoch "gepokert"! Sie haben immer wieder neue Sanktionen angedroht und zuletzt sogar behauptet, dass es keine weiteren Verhandlungen gibt, wenn die Urananreicherung nicht eingestellt wird. Die Urananreicherung ist nunmehr ausgeweitet und der Westen verhandelt wieder! Iran "pokert" nicht, da Muslime keine Glücksspiele spielen.
Die Westliche Welt behauptet, dass sie für Menschenrechte eintritt. Jenes Trugbild war auch sehr lange in vielen Teilen der Welt tatsächlich glaubhaft. Jetzt aber haben die USA so ziemlich alles, was irgendwie mit Menschenrechten zu tun hat, auf den Kopf gestellt. Auf dem Bildschirm erscheint "Freiheit und Demokratie". Im WYSIWYG-Modus aber erscheint eine fürchterliche Auflistung: Folter ist erlaubt, Menschen in Hundekäfigen zu halten ist erlaubt, Menschen ohne Anklage jahrelang festzusetzen ist erlaubt, Menschen keinen Rechtsbestand zu gewähren ist erlaubt, Menschen vor willkürlichen Tribunalen abzuurteilen ist erlaubt, selbst wenn jemand einmal frei gesprochen werden sollte, ist es erlaubt ihn weiter gefangen zu halten, Menschen präventiv zu bestrafen ist erlaubt, fremde Länder anzugreifen ist erlaubt, ihre Ölvorkommen zu plündern ist erlaubt, Besatzung, Vertreibung und Landraub ist erlaubt, anderen Ländern Kriege im Wochenrhythmus anzudrehen ist erlaubt, selbst den Einsatz von Atomwaffen anzudrohen ist erlaubt.
Merkwürdigerweise haben aber die "Diplomaten" in der Westlichen Welt noch gar nicht erkannt, dass der Rest der Welt schon längst im WYSIWYG-Modus arbeitet und die Unglaubwürdigkeit westlicher Politik immer klarer würdigt! So reden z.B. Politiker der Westlichen Welt (und ihre Hofjournalisten) immer von "Internationaler Staatengemeinschaft", wenn sie einmal mehr eines ihrer Verbrechen weltweit "legitimieren" wollen, wie z.B. bei den Sanktionen gegen den Iran. Jüngste Konferenzen in aller Welt haben aber dokumentiert, dass nicht der Iran sondern die Westliche Welt in dieser Frage isoliert ist! Auch in der Frage Georgien steht die Westliche Welt isoliert da! Und so ist es in zunehmend mehr Politikfeldern. Mit einer Politik, die nur Mord und Todschlag bewirkt und für die meisten Toten in dieser heutigen Welt maßgeblich verantwortlich ist, kann sich eben die echte "Internationaler Staatengemeinschaft" nicht erwärmen.
Es wird Zeit, dass auch die westliche Welt neue Wege der "Diplomatie" geht. Hierbei genügt es nicht mehr, dass man den WYSIWYG-Modus aufholt, bei dem man so extrem zurück gefallen ist. Um wieder glaubwürdig zu sein, bedarf es größerer Schritte mit einem friedvollen Symbolcharakter. Dazu ein Vorschlag für unsere Heimat Deutschland:
Es ist nach wie vor üblich, hohe Staatsgäste mit "militärischen Ehren" zu empfangen. Ist das nicht absurd? Warum ist es eine Ehre für einen Staatsgast, von Soldaten eines Landes empfange zu werden? Was einstmals dazu diente, den "Oberbefehlshabern" der anderen Seite die eigene Stärke und Disziplin vorzuspielen, hat in der heutigen Zeit doch schon längst keine vernünftige Bedeutung mehr! In Deutschland gibt es aber schon seit Jahrzehnten den alternativen Zivildienst, der zweifelsohne als "friedlichere" Variante des Dienstes für das Vaterland angesehen werden kann. Wie wäre es, Staatsgäste mit "Zivildienst-Ehren" zu begrüßen? Da könnte dann in einer Parade neben einem Feuerwehrmann, ein Krankenfahrer, ein Altenpfleger, ein Umweltschützer und Behindertenhelfer stehen, natürlich jeweils in der eigenen Zivi-Uniform. Wäre das nicht ein echtes Zeichen für Friedenswillen in der Heimat und in der Welt? Wäre das nicht eine echte Revolution, weg von einer Militärdiplomatie? Ein Land, das solch einen Schritt auch nur wagen würde, hätte innerhalb kürzester Zeit die Sympathien aller friedliebenden Menschen der Welt auf seiner Seite!
Aber möglicherweise wünscht man sich an bestimmten Stellen ja gar nicht die Sympathien von friedliebenden Menschen. Dann nützt es aber auch nicht, dass man ohne WYSIWYG arbeitet, denn der Rest der Welt hat die Westliche Welt hinreichend durchschaut.
Eine Diplomatie des fairen Ausgleichs ist möglich. Allerdings setzt es voraus, dass man sich von Verbrechern distanziert; selbst wenn sie aus den eigenen Reihen stammen. Das aber fällt fast allen Menschen aller Länder schwer. Doch mit der Schwierigkeit der Aufgabe kann auch die eigene Weiterentwicklung gedeihen.