Muslim-Markt, 31.3.2008 – Prozentrechnung gehört zu den grundlegenden Rechenarten, und scheint dennoch Ungeübten schwierig anschaulich vermittelbar zu sein. Wenn aber die Hofberichterstattung Prozentrechnung auf den Kopf stellt, dann liegt dies nicht nur an fehlenden Prozentrechenfähigkeiten.
Zahlreiche Beispiele verdeutlichen, wie selbst ein gebildetes Volk im Rahmen der Nachrichten und der Hofberichterstattung mittels Prozentrechnung mehr als deutlich hinters Licht geführt wird.
Das erste Beispiel für merkwürdige Prozentrechnungen sind die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst. Bundesweit wird nahezu von allen Medien im Gleichklang folgender Sachverhalt berichtet: Die Gewerkschaft habe ca. 8 % mehr Lohn gefordert. Die Gegenseite habe nach diversen Schlichtervorschlägen im ersten Jahr 4% und im zweiten Jahr 2 % Lohnsteigerungen angeboten – also insgesamt 5 %, über die zwei Jahre. Der Unterschied erschien nicht unüberwindbar. Allerdings wurde ein kleines Detail immer „nebenbei“ erwähnt. Die im Öffentlichen Dienst übliche Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden sollte auf 39,5 Stunden erhöht werden. Eine Prozentzahl wurde hier nicht angegeben. Tatsächlich handelt es sich um eine Arbeitszeitverlängerung von 2,6 %. Somit stehen einer Forderung von 8 % Lohnsteigerung nur noch ein Gesamtangebot von 5%-2,6% = 2,4% gegenüber. Oder anders formuliert: 1,6% arbeitszeitbereinigte Lohnsteigerung im ersten Jahr und dann noch mal 1,6% im zweiten Jahr werden angeboten. Diese Steigerungen liegen weit unter der Inflationsrate von derzeit über 3 %, und somit wäre die weitere Knebelung des an Kaufkraft verminderten Mitarbeiters im öffentlichen Dienst sicher gestellt.
Das zweite Beispiel für die merkwürdige Prozentrechnung soll die Aufregung der Autofahrer über die Spritpreise mildern. Die stetig höher werdenden Benzinpreise werden mit dem stetig steigenden Ölpreis gerechtfertigt. Der Preis für Brend Crude lag in der letzten Woche tatsächlich bei ca. 100 US$ und damit ca. 30% höher als vor einem Jahr; das kling beachtlich und muss wohl auf den so genannten “Endverbraucher“ abgewälzt werden; insbesondere kurz vor Ostern. Kleiner Schönheitsfehler bei der ganzen Angelegenheit ist, dass das Öl gar nicht in EUR sondern in US$ gehandelt wird. Der deutsche Tankwart verlangt aber dennoch EUR. Der US$ ist aber im letzten Jahr um 15 % billiger geworden. Vereinfacht gerechnet könnte man sagen, dass damit der Rohölpreis “nur“ um 15% gestiegen ist. Der Dieselpreis ist aber im gleichen Zeitraum um ca. 18% gestiegen. Der Rohölpreis wurde also mit einem gewissen “Aufpreis“ an den Endverbraucher weitergegeben mit der gleichzeitigen Behauptung, dass man nicht die gesamten 30% Preissteigerung an den Bürger weiter geben würde; wie edelmütig!
Drittes Beispiel sind Bürgerschaftswahlen, was am Beispiel Hamburg 2008 erläutert werden soll. Allgemein wird der Eindruck vermittelt, dass die CDU 42,6 %, die SPD 34,1 %, die GAL 9,6 % und die LINKE 6,4 % erhalten habe. Nebenbei wird dann erwähnt, dass 63,6 % der Wahlberechtigten an der Wahl teilgenommen haben. Würde man also nicht die Zahl der abgegebenen Stimmen als Maßstab nehmen, sondern die Zahl der Wahlberechtigten, dann sähe das Ergebnis so aus: CDU 27,1 %, die SPD 21,7 %, die GAL 6,1 % und die LINKE 4,1 %. Selbst eine große Koalition aus CDU und SPD würde nicht die Hälfte der Stimmen der Wahlberechtigten der Stadt vereinigen können! Und keine einzige Partei kommt auch nur annähernd an den Anteil der Nichtwähler von 36,4 % heran!
Und so hat jede Prozentrechnung ihre Tücken. Daher hier noch eine Prozentrechnung zur Veranschaulichung der Weltlage bezüglich Olympia. Es wird von der westlichen Welt immer wieder angedroht, dass die olympischen Spiele in China boykottiert werden würden, falls die Chinesen sicht nicht dem westlichen Hegemonialstreben unterwerfen; natürlich wird es etwas anders formuliert. Außer den USA und Europa würde allerdings – wenn überhaupt – niemand an jenem Boykott teilnehmen. Ohne Russland (die auch am Boykott nicht teilnehmen würden) kommt Europa auf ca. 500 Mio. Bewohner. Die USA können weitere 300 Mio. beisteuern. Mit 800 Mio. Boykotteuren würden bei einer Weltbevölkerung von fast 7 Milliarden Menschen damit Staaten von sage und schreibe 11 % der Weltbevölkerung die olympischen Spiele boykottieren. Es wird langsam Zeit, dass die Westliche Welt erkennt, dass ihr wirtschaftlicher Vorsprung nichts daran ändert, dass sie zu einer verschwindenden Minderheit in der Welt mutieren.
Genug der Prozentrechung und daher zum Abschluss noch eine Letztes: 100% der Menschen sterben früher oder später, und 0% haben es geschafft, nicht zu sterben. Und spätestens dann weiß jeder, wie viele Prozente er Unrecht getan hat. Darin dürften die heutigen Verantwortlichen der Westlichen Welt aber das absolut Unmögliche möglich machen und 100 % übertreffen, sowohl in der Innenpolitik als auch in der Außenpolitik.