Wenn man von Mekka aus nach Syrien reist, kommt man in eine gebirgige Gegend mit sehr fruchtbaren Tälern. In einem solchen Tal kann man die Ruinen einer Stadt sehen, deren Häuser in das Felsgestein hineingebaut wurden.
Noch immer kann man erkennen, dass einst ein sehr reiches und mächtiges Volk in diesen Mauern lebte. Wind und Regen haben in den vergangenen Jahrhunderten einen Großteil der Mauern zerstört, aber einige Wände sind nahezu gänzlich erhalten geblieben.
Man kommt ins Staunen: wie konnten die Menschen damals derartige Häuser bauen, wo sie doch nur ganz einfache Geräte und Werkzeuge hatten?! Wer mag in diese Stadt wohl gelebt haben und wie kam es, dass diese Stadt verlassen wurde?
Vor vielen Jahrhunderten bot die Stadt ein ganz anderes Bild: Dank des angenehmen Klimas konnten die Menschen schöne Gärten anlegen. Die Brunnen waren voller Wasser und die Felder ringsum waren fruchtbar. Mitten in der Stadt gab es ein großes und prunkvolles Götzenhaus. Darin bewahrten die Menschen unterschiedliche große und kleine Götzen auf, die sie selbst geformt und geschaffen hatten. Manche hatten die Gestalt eines Tieres, andere wiederum waren dem Menschen nachgebildet.
Die Menschen in dieser Stadt waren Götzendiener. Sie gehörten zum Stamm der Thamud und ihre Vorväter stammten vom Propheten Nuh (a.s.) ab.
Doch im Verlauf der Jahrhunderte hatten sich die Menschen von der göttlichen Lehre entfernt, die ihnen Nuh (a.s.) überbracht hatte. Sie glaubten nicht mehr an den Einen Gott und und hielten es nicht mehr für nötig, Ihm für Seine Segnungen und Gaben zu danken. Sie schufen sich Götzen, und eine Generation nach der anderen betete zu diesen Götzen. Der Götzendienst war schließlich so verbreitet, dass völlig in Vergessenheit geriet, dass die Menschen dieses Volkes ehemals aufrichtige Gottesdiener gewesen waren. Mit dem Götzendienst nahmen sie auch neue Rituale und Zeremonien an. Aufrichtigkeit, Reinheit und Gerechtigkeit verschwanden, und Verlogenheit, Ungerechtigkeit und Tyrannei machten sich breit. Die Menschen strebten nach Macht und immer mehr Wohlstand.
Dennoch gab es auch unter diesem Volk noch einen wahren Nachkommen des Propheten Nuh (a.s.). Sein Name war Saleh und von Kind auf hatte er nur den Einen Gott verehrt und Ihm gedient. Er war niemals zum Götzenhaus gegangen. In der ganzen Stadt war er für seine Aufrichtigkeit bekannt. Niemand hatte von ihm je unrecht erfahren oder ein böses Wort von ihm gehört. Saleh war der Prophet Gottes, und beständig rief er sein Volk zum Glauben an den Einen Gott auf. Er erzählte den Menschen von den Gnaden Gottes und warnte sie vor dem Jüngsten Tag. Hei jeder sieh bieten- den Gelegenheit sprach er von Gott und Seinen Zeichen und verurteilte den Götzendienst.
Doch die Menschen beachteten ihn kaum oder nahmen ihn nicht ernst.
So vergingen Monate und Jahre, in denen Saleh seine Aufgabe gewissenhaft verfolgte. Einige Menschen hatte er auf den rechten Weg führen können, doch die Gruppe der Gläubigen war noch immer sehr klein. Dennoch hat- ten die Mächtigsten der Stadt Angst, ihre Macht könnte auf diese Weise eines Tages gefährdet werden. Saleh sprach schlecht über die Götzen. Er sprach ihnen jegliche Macht und Kraft ab und nannte den Götzendienst reinen Aberglauben. Auch die Herrscher ver- urteilte er, und er erklärte den Menschen immer wieder, dass die Tyrannen nur ihre eigene Macht im Sinn haben und nicht an die Menschen und deren Interessen denken. Diese Worte waren den Herrschern sehr unangenehm! So setzten sie sieh zusammen, um gemeinsam zu beraten, wie sie Saleh am besten mundtot machen könnten.
Eines Tages, als Saleh gerade zu den Gläubigen sprach, beobachteten sie die Gruppe aus einiger Entfernung. Sie sahen, wie interessiert die Menschen Salehs Worten lauschten und wie beeindruckt sie waren. Saleh sprach von Gerechtigkeit und Reinheit und wie man ein frommes, gerechtes und freies Leben führen kann. Er erklärte, dass der Mensch das beste Geschöpf Gottes ist und welche Verantwortung er in seinem Leben hat, alles auf dieser Welt sei für den Menschen erschaffen und der Mensch sei für Gott erschaffen. Nachdem die Rede zu Ende war und die Gruppe sich auflöste, gingen die Mächtigsten der Götzendiener zu Saleh und sprachen: "Als du klein warst, hast du nicht wie wir an die Götzen geglaubt. Damals wollten dich einige Götzendiener bestrafen. Doch wir haben das ab- gelehnt und gesagt, auch du würdest die Götzen anbeten, wenn du erst einmal erwachsen bist. Deshalb haben wir jahrelang Geduld mit dir gehabt. Wir haben dich nicht beleidigt und dir deine Freiheit gelassen. Doch du wurdest kein Götzendiener - im Gegenteil - du beleidigst unsere Götzen und unseren Glauben und den Glauben unserer Vorväter. Aber damit nicht genug, du willst auch die anderen Menschen davon abhalten, die Götzen zu verehren. Vielleicht willst du sogar die Macht und die Großartigkeit unseres Stammes vernicten?! Willst du Geld und Reichtum, so sag' es, und wir werden dir soviel geben wie du willst. Auch wenn du nach Macht strebst, können wir dir helfen. Wir befürchten, dass du mit deinen Worten ein schlechtes Ende für dich selbst und auch für unser Volk heraufbeschwörst. Also nimm unseren Rat an! Leite die Menschen nicht weiter auf deinen Weg, und halte sie nicht davon ab, Götzendiener zu sein!" Saleh (a.s.) hatte ruhig ihren Ausführungen zugehört und entgegnete: "Gott hat mir den Auftrag gegeben, die Thamud vom Götzen- dienst und von schlechten Taten und Eigenschaften abzuhalten. Ich soll die Menschen zur Reue aufrufen, so dass Gott ihnen ihre Sünden vergeben kann und sie in dieser und in der nächsten Welt glücklich werden. Ich ver- stehe nicht, warum diese Botschaft den Menschen Unheil bringen sollte! Habe ich jemals etwas anderes getan, als die Menschen zum Guten einzuladen?"
Die Götzendiener erkannten, dass sie Saleh (a.s.) nicht von seinem Weg abbringen konnten und erwiderten böse: "Du bist ein Mensch wie wir! Du bist nicht reicher oder mächtiger als wir! Wir gehören dem gleichen Stamm an. Wieso hat Gott dich zu seinem Propheten er- wählt, obwohl es in dieser Stadt reichere und mächtigere Herren gibt als dich? Vielleicht sind wir sogar besser als Prophet geeignet als du? Wenn es deinen Gott wirklich gäbe, hätte er einen von uns zu seinem Propheten machen müssen."
Dann zogen sie unzufrieden und voller Zorn davon. Saleh (a.s.) hat weiterhin die Menschen zum Glauben an den Einen Gott eingeladen, doch den Götzendienern ließ das keine Ruhe mehr. Sie überlegten sich einen Plan, wie sie Saleh bloßstellen könnten.
Sie gingen zu ihm und sprachen: "Wenn du wirklich der Prophet Gottes bist, wie du behauptest, und dein Gott in der Lage ist, alles zu tun, was er will, dann sollst du uns das durch ein Wunder beweisen."
"Was für ein Wunder wollt ihr sehen?" fragte Saleh (a.s.).
"Du sollst deinen Gott bitten, dass er aus dem Berg eine rothaarige Kamelstute mit einem jungen Kamel hervorbringt." forderten sie. "Das ist leicht für Gott", antwortete Saleh. "Versammelt euch morgen früh am Flusse des Berges und dann werdet ihr das Wunder mit eigenen Augen sehen können."
Am nächsten Morgen war die ganze Stadt auf den Beinen. Die Götzendiener hofften, dass Saleh (a.s.) sieh nun in aller Öffentlichkeit blamieren und niemand mehr seine Worte anhören würde. Saleh (a.s.) kam mit der kleinen Gruppe der Gläubigen und erhob seine Hände zu einem Bittgebet.
Doch noch bevor er sein Gebet beendet hatte, kam plötzlich zwischen den Felsen ein Kamel mit einem Jungen hervor.
"Das ist das Wunder, das ihr gewünscht habt", sprach Saleh (a.s.). "Wollt ihr nun an meinen Gott glauben? Nichts und niemand außer Gott ist in der Lage, so etwas zu vollbringen. So bereut jetzt, damit Gott in Seiner Gnade und Barmherzigkeit euch vergibt."
Die Götzendiener waren verwirrt. "Du bist ein Zauberer. Das ist nichts als eine Zauberei! Mit so etwas kannst du uns nicht vom Glauben unserer Vorväter abbringen!" schrie einer der Mächtigen. Die Götzendiener hielten weiterhin an ihrem Irrglauben fest.
Währenddessen waren die beiden Kamele in die Stadt gelaufen, und das große Kamel hatte den Brunnen leer getrunken. Als die Menschen dies sahen, jammerten sie: "Einen Tag wird es dauern, bis der Brunnen wieder Wasser hat. Wenn das Kamel jeden Tag hier Wasser trinkt, haben wir kein Wasser mehr für uns selbst und für unsere Gärten und Felder!" Sie liefen zu Saleh (a.s.) und beschwerten sieh und drohten ihm sogar, das Kamel zu töten. "Ich warne euch davor, dem Kamel irgendeinen Schaden zuzufügen, sonst wird Gott euch schrecklich bestrafen!" sprach Saleh. "Aber seid unbesorgt - einen Tag wird das Kamel hier Wasser trinken und am nächsten Tag könnt ihr über das Wasser verfügen. Außerdem könnt ihr die Kamelmilch trinken."
Die Menschen waren noch so verwirrt von dem, was sie gesehen hatten, dass sie sich damit einverstanden erklärten. Wieder gingen einige Jahre ins Land. Doch die Feindschaft der Götzendiener gegen Saleh bestand unver- mindert fort.
Eines Tages verkündete Saleh (a.s.), dass die Thamud das Kamel doch töten würden und eine sehr harte Strafe dafür empfangen würden. Die Menschen bekamen es mit der Angst zu tun. "Wer wird es töten?" wollten sie von Saleh wissen.
"Der ist noch nicht geboren" antwortete Saleh. Einige lachten und scherzten: "Ach, da haben wir ja noch viel Zeit!" Doch ein paar besonders Kluge fragten weiter: "Wie wird er aussehen? Kannst du uns sein Äußeres beschreiben?"
Prophet Saleh (a.s.) antwortete: "Er wird rote Haare und grüne Augen haben und bald auf die Welt kommen."
Die Thamud hatten große Furcht. Sie glaubten zwar nicht an den Gott Salehs, doch sie wussten, dass Saleh bisher niemals gelogen hatte. So beschlossen sie, jedes rothaarige Neugeborene mit grünen Augen zu töten. Bald waren neun Kinder getötet. Die Menschen hassten
Saleh und machten ihn dafür verantwortlich, obwohl sie selbst diese verwerfliche Entscheidung getroffen hatten.
Das zehnte Kind mit roten Haaren und grünen Augen kam in der Familie des mächtigsten Götzendieners zur Welt. Die anderen wollten ihm Leid ersparen und setzten sich deshalb dafür ein, dass das Kind verschont wurde. "Glaubt nicht an das, was Saleh euch erzählt. Er ist ein Zauberer. Er will nur Zwietracht und Feindschaft unter uns säen. Wer soll das Kamel töten? Wir werden aufpassen, dass das nicht geschieht" sprachen sie.
Doch mit der Zeit wurde die Feindschaft gegen Saleh für sie immer unerträglicher, und sie fassten den Entschluss ihn und das Kamel zu töten. Die Väter der neun getöteten Kinder sollten diese Aufgabe übernehmen. Sie legten sich einen Plan zurecht: am nächsten Morgen wollten sie vor den Augen der Gläubigen die Stadt verlassen. Dann würden sie in einiger Entfernung warten, bis die Dunkelheit hereingebrochen war, in die Stadt zurückkehren und ihren Plan in die Tat umsetzen. Danach würden sie wieder die Stadt verlassen und erst am nächsten Tag zurückkehren, so dass die Gläubigen keinerlei Verdacht gegen sie hegen konnten.
Gesagt, getan! Am nächsten Morgen ritten sie aus der Stadt und versteckten sich hinter einem Hügel. Aber Gott kannte ihre Absicht!
Plötzlich löste sich ein großer Felsbrocken und begrub alle neun Männer unter sich.
Die Nacht war vorüber, doch Saleh war noch am Leben. Die Götzendiener in der Stadt wussten sogleich, dass etwas passiert sein musste! Sie machten sich auf die Suche nach ihren neun Freunden und fanden sie schließlich. Nun wurde ihr Haß gegen Saleh grenzenlos. An- statt zu bereuen und an Gott zu glauben, klag- ten sie: "Das wir unsere Kinder töteten, war noch nicht genug. Nun mußten auch noch ihre Väter sterben!" Doch sie hatten keinen Mut mehr, etwas gegen Saleh zu unternehmen.
Nach einigen Jahren war Qadar, das rothaarige Kind mit den grünen Augen, zu einem jungen, kräftigen Burschen herangewachsen. Die Mütter, deren Kinder damals getötet worden waren, verspürten bei seinem Anblick den Hass gegen Saleh immer wieder von neuem.
Erneut beschlossen die Götzendiener, sich zu rächen und das Kamel zu töten. Sie setzten eine Belohnung aus, doch niemand brachte den Mut zu dieser Tat auf. Schließlich meldete sich Qadar. Mit einigen seiner Freunde wartete er beim Brunnen auf das Kamel. Mit Beilen, Messern und Speeren töteten sie es schließlich.
Die Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Die Menschen freuten sich, und überhäuften Qadar mit Geschenken. Sie fühl- ten sich, als seien sie von einer schweren Last erlöst.
Als Saleh die Neuigkeit berichtet wurde, warnte er: "Ihr habt das Kamel getötet, und ihr freut euch? Fürchtet die Strafe Gottes!"
Doch den Götzendienern war jede Spur von Angst verflogen. Unbekümmert feierten sie ein großes Fest.
Weiter versuchte Saleh (a.s.) sie zu warnen:
Ihr habt nur noch drei Tage Zeit. Am vierten Tag wird die Strafe Gottes über euch kommen. Morgen werden eure Gesichter gelb, übermorgen rot und am dritten Tag werden sie schwarz sein. Bereut und kehrt um, bevor es zu spät." Doch die Thamud bereuten nicht, und am vierten Tag gab es eine Katastrophe: die Ungläubigen starben und Prophet Saleh (a.s.) und die Gläubigen verließen die Stadt.