:bsm: Die Schia-Bibliothek des Orientalischen Seminars
Die Schia-Bibliothek des Orientalischen Seminars der Universität zu Köln beherbergt eine der wichtigsten Sammlungen ihrer Gattung in der westlichen Welt.
Die Sammlung ist über Jahrzehnte zusammengetragen worden. Die ersten Bücher wurden bereits 1949 angekauft, doch fiel die Entscheidung, im Seminar eine Spezialsammlung einzurichten, erst später unter dem damaligen Seminarleiter Prof. Dr. E. Gräf (gest. 1976). Der größte Teil der Sammlung kam 1965-75 durch den Einsatz von Herrn Prof. Dr. A. Falaturi, der in Iran meist aus Privatbibliotheken ankaufen konnte, nach Köln. Die Mehrheit dieser Bücher war nur auf diesem Weg zu beschaffen, da es sich um vergriffene alte lithographische Ausgaben handelte.
Vertreten ist in der Bibliothek ein breites Spektrum wesentlicher Gebiete der Schia, vor allem der Zwölferschia: Qur'an-Kommentare, Fiqh-Werke, Philosophie und Kalam, Mystik, sowie erbauliche Ethik und Predigten. Besonders hervorzuheben sind die Usul-Werke sowie Fatwa-Sammlungen. Die letzteren sind in ihrem Umfang einmalig, da es sich bei ihnen um die beinahe vollständigen Rasa'il al-amaliya des 19. und 20. Jahrhunderts, soweit sie gedruckt vorliegen, handelt.
Die Sammlung geht aber über die Corpora juris sowie Werke zur schiitischen Glaubenslehre, also über die Schia im engeren Sinne, hinaus. Sie enthält auch wichtige Quellen, Nachschlagewerke und Sekundärliteratur, die für die Erforschung des schiitischen Volksglaubens, der Sekten, Mystik u.a., also der Schia im weiteren Sinne, relevant sind. Da sich ein wesentlicher Teil der Schia-Forschung zur neuzeitlichen Entwicklung auf die Kulturgeschichte Irans konzentriert, sind die entsprechenden Werke ebenfalls in der Schia-Bibliothek gesammelt worden.
Inzwischen ist in den Jahren 1976-1993 unter Herrn Prof. Dr. W. Diem als Direktor des Orientalischen Seminars die Sammlung auf etwa 10,000 Titel angewachsen. Wegen der beschränkten finanziellen Mittel konnten in den letzten Jahren allerdings nur noch wenige Neuerwerbungen getätigt werden.
Seit der ersten öffentlichen Vorstellung durch Abdoljavad Falaturi ("Die Bedeutung der Schia-Forschung für die islamische Wissenschaften", in Vorträge, XVII. Deutscher Orientalistentag, T. 2. 1969. S. 604-610) haben sich die Schia-Forscher für diese Bibliothek interessiert. Obwohl die deutschen Orientalisten im allgemeinen und die Schia-Spezialisten im besonderen die Schia-Bibliothek schon lange kannten, wurde die Existenz dieser Sammlung der weiteren internationalen Forschergemeinschaft erst mit der Veröffentlichung des ersten Katalogbandes (Katalog der Bibliothek des schiitischen Schrifttums im Orientalischen Seminar der Universität zu Köln, hrsg. von Abdoldjavad Falaturi, München 1988), der von Dr. Kamran Amir Arjomand bearbeitet worden ist, bekanntgemacht.
Es ist erfreulich, daß immer mehr Forscher, Stipendiaten und Doktoranden, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus dem Ausland, die Schia-Bibliothek besuchen. Durch den Anschluß der Sammlung an die interuniversitäre Fernleihe ist es den Forschern möglich geworden, innerhalb der Bundesrepublik auf dem Leihweg in begrenztem Umfang Zugang zu den Büchern aus der Schia-Bibliothek zu bekommen. Was die Bearbeitung der Sammlung betrifft, so begann die Katalogisierung 1969 mit der wegbereitenden Arbeit von Herrn F. Kaltz, die durch die Schaffung einer Mitarbeiterstelle 1969-1970 seitens der Kölner Universitätsbibliothek ermöglicht wurde.
Dank der großzügigen Unterstützung der DFG konnte die Arbeit erneut von 1979-1984 unter der Mitarbeit von Herrn Dr. D. Lemke fortgesetzt werden. Seit 1984 war der Unterzeichnende für die Katalogisierung verantwortlich. 1984-86 wurde die Arbeit durch Seminarmittel unterstützt. Zwischen 1986 und 1992 hat die Islamische Wissenschaftliche Akademie in Köln unter der Leitung des verstorbenen Prof. Dr. Abdoldjavad Falaturi, die Last der Finanzierung auf sich genommen. Vom August 1992 bis Juli 1993 konnte die Katalogisierungsarbeit dank dem Einsatz von Herrn Dr. H. Limburg, Direktor der Kölner Stadt- und Universitätsbibliothek, und einer weiteren Unterstützung der DFG dem Abschluß ein gutes Stück näher gebracht werden.
Diese Unterstützung endete im Juli 1993. Nun ist es gelungen, den Gesamtkatalog in 6 Bänden mit der Unterstützung der Kölner Stadt- und Universitätsbibliothek zu publizieren (Saur-Verlag, München 1996). Darüber hinaus ist ein Sachkatalog geplant. Die Realisierung dieser letzten Phase sowie des notwendigen weiteren Ausbaus und der fachkundigen Betreuung sind allerdings im Moment wegen der noch ungeklärten Finanzierung fraglicher denn je. Es bleibt zu hoffen, daß ein Weg gefunden wird, um die Fortsetzung des Projekts zu ermöglichen.